Irene Kohlbergers SALVETE

Persien

 

 

Persien (27.12.2010 bis 08.01.2011)

Persien ist schon lange ein Sehnsuchtsland von mir. Wollte schon vor Jahren nach Persepolis, der sagenumwobenen Metropole der Achämeniden. Wollte die Landschaft kennen lernen, wo die Karawanen der Frühzeit dahinwanderten, um die Schätze und das Wissen des Orients nach Europa zu bringen. Im Winter des Jahres 2010 war es dann soweit. Eine Vierergruppe von Frauen fand sich bei Orion-Reisen zusammen und gemeinsam bereisten wir den Iran entlang des  touristischen Trampelpfades. Da es eine organisierte Reise war, wurden wir in Teheran von einem Reiseleiter – Herrn Masoud Abdollahi -empfangen, der uns die ganze Reise über begleitete und für alles sorgte, was reisetechnisch notwendig war. Darüberhinaus ist er ein Humanist mit Leib und Seele – kunsthistorisch, wie literarisch interessiert – ein Reisender, der mehrmals Europa besucht hat, d.h. wir hatten einfach Glück mit ihm.

 
Achämenidisches Persien und Griechenland - Freundfeinde - Feindfreunde – beide kulturell zu Meisterleistungen befähigt – beide nach einem Großreich strebend, das mit Waffengewalt nicht zu erringen ist.
Akropolis von Athen – Persepolis -  zerstört und niedergemacht von der Soldateska unterschiedlicher feindlicher Epochen.
Absolute Schönheit hier wie dort.
Athen ist Heimat für mich, frühe Begegnung.
Persepolis wirkt fremd und doch vertraut – speist sich aus anderen Quellen – hat den Olymp auf die Erde geholt. Kein Götterbild ziert hier die Zella der Tempel – alles ist auf IHN, den Herrscher zentriert. Ihm bringen die steingewordenen Diener noch nach Jahrhunderten Speis und Trank in seine Privatgemächer, bringen die täglich notwendigen Dinge zum Leben.
Am Parthenonfries feiern die Götter: das Geschenk einer großen Dichtung. Sie brauchen nichts von dem, was Menschen besitzen – sie leben im ewigen Licht, unberührbar und unsterblich. Und dennoch sind sie gestorben – unter anderem Namen, erst spät auf dem Forum Romanum. Ein anderer Gott – ein Mensch – hat sie nach Jahrhunderten besiegt. Seine Botschaft wäre die Liebe – doch das ist von Menschen meist zu viel verlangt.
Persien hat sich mit der Religion der Praxis arrangiert. An den einen Gott glauben, beten, den Fastenmonat halten, nach Mekka reisen und Almosen geben, erscheint Menschen einfacher, als die bedingungslose Hingabe an das Leben, an die Liebe Gottes, der am Kreuz verblutet ist.
 
Die persischen Gotteshäuser sind Monumente, die Herrscher zur Feier der Gemeinschaft errichten ließen. Hier trifft man sich, hier werden noch vor dem Gebet die gesellschaftlichen Ereignisse, anstehende Entscheidungen, Leid und Freud der religiösen und gleichzeitig politischen Versammlung vorgetragen und besprochen.
Und sie repräsentieren den Anspruch der Gemeinschaft – die riesigen Mihrabsäle, ausgestattet mit feinster Fliesendekoration, umschlossen von kalligraphischen Texten aus dem Koran, geschmückt mit Blumen und Vögeln oder altehrwürdigen Ziegelmosaike, die in ihrer Schlichtheit das Auge begeistern.
In die Tiefe des zoroastischen Glaubens, der in den vier Himmelsrichtungen die Welt gespiegelt sieht, reichen die großen Hofanlagen zurück. Fast allen großen Moscheen sind quadratische Höfe vorgelagert, die neben einem Eingangsiwan und der Toranlage der Moschee, auch an den beiden anderen Seiten von Iwanen überhöht sind.
Das Wasserbecken in der Mitte der Hofanlage ist Lebenssymbol dieser heißen Regionen, das alles umschließt, von der geistigen Reinigung der Beter, bis hin zur Bewässerung der geliebten Gartenanlagen.
Gärten sind das Thema der persischen Lyrik und der persischen Mystik. Alles wird wunderbar einfach in den Gärten – dort quält kein Staub, keine sengende Sonne – dort kann das Auge ausruhen und die Seele still werden. Weit in die Tiefen der Geschichte reicht persische Gartenkunst. Ihr gelten die müßigen Gedanken der Herrscher, ihr dient ein Heer von Arbeitern, damals wie heute.
 
Lebensadern des normalen Alltags sind die Basare. Mit dem Bau ausgedehnter, gewölbter Basare pflegten sich die alten Herrscher persönliche Denkmäler zu setzen;  zweifellos nicht ganz uneigennützig, war doch in den Basaren schon immer die Wirtschaftskraft des Landes zu Hause. Noch heute wird hier, was im Land geerntet und in den Handwerksbetrieben oder in Heimarbeit hergestellt wird, angeboten. Und hier ist auch das Feilschen beim Einkauf und Verkauf noch tradiertes Ritual.
 
Unsere Fahrt durchs Land hat viel Ähnlichkeit mit dem Flug einer Raumkapsel. Viel bekommen wir nicht mit, vom Leben der Menschen hier. Von ihren Ängsten ihren Sorgen wissen wir nichts, obwohl wir von Masoud erfahren, dass sich die Leute hier sehr gern und locker über ihre beruflichen und privaten Probleme, auch Fremden gegenüber, aussprechen. Zwar werden wir immer wieder freundlich angesprochen  – meist mit der Frage, ‚Woher wir kämen?’ – doch kommen wir aufgrund der fehlenden Sprachkenntnisse nicht viel weiter. Allerdings treffen wir immer wieder Exiliraner, die blendend Deutsch sprechen und so wie wir, die Schönheiten ihres Heimatlandes besuchen. Exiliraner sind Menschen, die sich hier selber offenbar auf dünnem Eis bewegen, sonst würden sie uns nicht für unseren Mut bewundern, dass wir als europäische Frauen und ohne männliche Begleitung, Persien bereisen.
Hin und wieder treffen wir aber auch Landsleute, Akademiker, die ausgezeichnet Englisch sprechen und Einheimische, die sich Englisch einfach angelernt haben - durch die Kontakte mit den Touristen, durch Liedtexte usw. Immer wieder fasziniert mich die Offenheit und die sichtliche Begabung der IranerInnen für das Geistige, das sich nicht zuletzt an den Grabmälern Ihrer Dichter ausdrückt, wo viele junge Leute anzutreffen sind.
Vielleicht hätten IranerInnen bei entsprechender Weichenstellung das Zeug dazu, eine neue Art der Lebensbewältigung zu erfinden, die den westlichen Turbokapitalismus durch geistige Ehrlichkeit und Einfachheit unterlaufen könnte?
Das positive Bemühen der Mullas, um eine religiöse Bindung für die Menschen, damit sie dem Kapitalismus nicht schutzlos ausgeliefert sind, halte ich ihnen zugute. Doch niemals wird man Menschen mit Gewalt, mit Gefängnis und Tod zu Anerkennung eines „höheren Lebenssinns“ motivieren können. Wenn sie das wollen, dann sind sie blinde Führer, die sich und die Menschen, die ihnen anvertraut sind, in den Abgrund führen.
Warum einfache Mietshäuser mit hohen Zäunen umgeben sind, und zwar mit Stachelabwehr in zwei Richtungen, ist eine Frage, die mir weder Masoud noch sein Freund Hussein beantworten kann. Sicher ist nur, dass die persische Familie nach innen lebt, soll heißen, dass Menschen, die es sich leisten können, ihren Lebensmittelpunkt innerhalb des Hauses haben. Draußen wird Geld verdient, und eingekauft was man zum Leben braucht, gelebt wird aber im Haus und  in der Familie. Gefeiert wird in den Wohnungen, gemeinsam mit Freunden und im Rahmen der Großfamilie. Dazu braucht man repräsentative Möbel, wenn möglich im barocken Stil, mit Seidentapezierung – dazupassende Glasvitrinen mit sichtbaren „Kostbarkeiten“ – den „Flatscreen“ und die PC-Ecke.
Im Rahmen des Hauses gibt sich die junge Frau ungezwungen und ohne Kopftuch. Es wird gefeiert und getanzt, geflirtet und darüber hinaus eine besondere Art von Kindergeburtstag zelebriert. Als sichtbares Ergebnis der verborgenen Feste kann man in allen Fotogeschäften Bilder von Kindern bewundern, die in Erwachsenendress gesteckt wurden. Die Burschen im dreiteiligen Anzug, die fünfjährigen Mädchen in langem Abendkleid, mit Spaghettiträgern. Wahrscheinlich würde in Persien niemand verstehen, dass unser europäisches Empfinden durch diese Art  Kleidung und Posen an Kindern, irritiert und verstört wird. Wahrscheinlich ist man hier als erwachsene Frau stolz auf die Kinderfotos, wo man schon gekonnt vor der Kamera als Frau agierte. Und das Lächeln des Vaters, der seine eigenen Kinderfotos seinem Sohn präsentiert, ist auch unschwer vorstellbar. Dennoch möchte ich unserer Unisex - Kinderkleidung den deutlichen Vorrang einräumen, weil in diesem Punkt der geistige Hintergrund einfach stimmt. Mag auch in unseren Breiten die gesellschaftliche Problematik der gelebten Frauenemanzipation schon deutlich spürbar werden. Eine Gesellschaft, wo schon in frühen Jahren die Körperlichkeit so wichtig genommen wird, dort ist der Weg noch lang für Frauen, wie Shirin Ebadi [1]
Für mich persönlich war die Reise durch den Iran voller Wunder. Ich bin begeistert von dem Zauber der Landschaft und von der künstlerischen Kraft ihrer Architektur. An den Menschen habe ich eine vornehm wirkende Zurückhaltung erleben dürfen, die sich mit Geduld und Gleichmut verbindet.
„Ich lebe in einem spannenden Land, niemand weiß, was morgen ist und das gefällt mir“, Worte von Masoud, unserem Reiseführer.
 
 


[1]Shirin Ebadi gibt in ihrem Buch“ MEIN IRAN", blanvalet Tb, 2007 ein lebendiges Bild zur Geschichte des Iran, während der letzten fünfzig Jahre - absolut lesenswert. 
 Literarisch wunderbar verarbeitet wird dasselbe Thema von  Kader Abdolah im "HAUS AN DER MOSCHEE" ,List Taschenbuch 2008        
 
 
 
 

 

 

 
 
 
 

 

 

 

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