Irene Kohlbergers SALVETE

Schweiz

Schweiz 2011/12

 

Interlaken

 

Interlaken wird im Osten von einem riesigen freien Platz dominiert, der an der Flussseite von alten Hotels gesäumt ist, die klingende Namen tragen und deren Vorderfront im Blick auf die Jungfraugruppe ausgerichtet ist. Noch heute umgibt die Hotels Victoria-, Jungfrau - Grand Hotel, Royal St. George, Hotel Interlaken ein mondänes Flair, das durch die Schmuck- und Uhrengeschäfte an der Flaniermeile noch zusätzlich unterstrichen wird. Später lese ich nach, dass dieser seltsam leere Platz – die Höhenmatte - im 19.Jh. von insgesamt 37 Hotelbesitzern und Privatleuten erworben wurde, um ein „ewiges“ Bauverbot ins Grundbuch eintragen zu lassen.

         

In fröhlicher Eintracht rufen die Glocken der katholische Heiligen Geist Kirche und der benachbarte reformierte Kirche zum sonntäglichen Gottesdienst, der heute auch zum Jahreswechsel gefeiert wird und nicht nur zu Ehren der Hl. Familie. Als die Berner im 16.Jh. beschlossen, den reformierten Glauben für ihren Kanton durchzusetzen, wurde das Augustinerkloster in Interlaken enteignet, zur Residenz des Landvogts umgestaltet und die klostereigene Kirche in althergebrachter protestantischer Tradition der reformierten Gemeinde übergeben. Die katholische Kirche daneben ist ein Gebäude aus viel späterer Zeit, das einen sehr einfach gehaltenen Kirchenraum umschließt, der hell und warm seine Mitglieder empfängt. Die Chorvereinigung, die heute den Gottesdienst begleitet, bringt Gospels und selten gehörte meditative Gesänge zu Gehör, die in dem Kirchenraum gut zur Geltung kommen und den Gottesdienst würdig umrahmen.

                    Draußen nimmt unterdessen das dreitägige Neujahrsfest seinen Gang. Von den Hotels wird dieses Fest als dreitägiger Neujahrsevent angepriesen, der am Silvesterabend mit einem Galadinner beginnt und am 2. Jänner mit einem quasi „Perchtenlauf“ endet. Am 1. Jänner wird in der Flaniermeile mit einer mobilen Bühne und ebensolchen Trink-und Esshütten ein Festgelände errichtet, wo bekannte Gruppen ihr Bestes an Musik geben. Eine der Gruppen, namens Baschi bestreitet gerade das Programm, als der Gottesdienst zu Ende ist: Hardrock vor quietschenden, begeisterten Mädchengestalten. Doch wir ziehen als Erwachsenenmuffel durch das Getümmel und steuern Richtung Westen, dem Zentrum  der Stadt zu. Unterwegs erblicken wir gleichsam aus den Augenwinkeln Szenen mit Schnee und Eis in sonnenbeschienener Berglandschaft auf großen Videowalls: Bergrettung in Aktion am Jungfraujoch. Bilder, die das Herz der Betrachter bewegen könnten, wenn man sich nicht gerade durch eine Gruppe von Menschen durchschlängeln – oder einem gefüllten Papierbecher ausweichen muss. Schließlich finden wir am Ende der Festival-Zone einen Stand, wo es vorzügliche Bratwurst gibt. Als das Feuerwerk auf sich warten lässt, wandern wir wieder zurück Richtung Bahnhof. Jetzt hat die Gruppe Stress die Bühne und das Mikrophon erobert und zugleich die beiden Videowalls, wo sich der Sänger und die Musiker in Großaufnahme präsentieren. Die Stimmung fühlt sich gut an - manche der jungen Leute wippen mit, andere plaudern – und ich versuche mich durchzuwuzeln. Eines muss man dem Schweizer Ötzi schon lassen, er versteht seine „performance“. Ob er singen kann? Das steht auf einem anderen Blatt und ist auch nicht wirklich wichtig.

Am 2. Jänner ziehen die Glöckler durch Interlaken, hinunter nach Untersee, wo seinerzeit schon Goethe übernachtet hat. Die Glöckler kenne ich schon von Ringgenberg. Dort zogen sie nach Mitternacht durch das Dorf: eine Gruppe von Burschen, jeder mit einer sehr großen Kuhglocke am Arm, die sie mit jedem Schritt zum Anschlagen brachten. Ein mehr als gespenstischer Eindruck, wie sie langsam durch die leeren Gassen dahinschritten, eingeschlossen in den fremdartigen Zusammenklang ihrer Kuhglocken.

                   

Hier in Interlaken bilden die Glöckler die Begleitung von großen und kleinen Gestalten, die Holzmasken tragen und deren „schreckliche“ Gesichtszüge manchmal sehr eindrucksvoll herausgearbeitet sind. Gekleidet sind sie in Jutegewänder, die stellenweise mit Flicken aus Fellen benäht sind. Die Kinder tragen Schachteln am Kopf, die mit Reisig verunstaltet sind, womit ein möglichst abschreckender Anblick erreicht werden soll. Auffallend ist dabei, dass alles sehr ruhig und gemessen abläuft. Zum Abschluss des Perchtenzuges wird auf einer improvisierten Bühne in Schwizertüütsch des Armenbrotes gedacht, das in der Vergangenheit an diesem Tag von der Stadtgemeinde an die Armen der Stadt ausgeteilt wurde. Vieles was noch gesagt und gescherzt wird, entzieht sich unserem Verständnis, weil, ja weil sich das Schwizertüütsch manchmal doch sehr weit von unserem Deutsch entfernt.

 

Bern 

 Die Altstadt von Bern wirkt auf mich wie eine Stadt, die im 18. Jh. von einem aufgeklärten Architekten geplant und tatsächlich realisiert wurde. Es sind mehrstöckige Häuser, aufgereiht entlang von drei sanft abfallenden Straßen, der Rathaus-, Kram- und Münstergasse, die einheitlich im Stil und gelungen in den Proportionen, aus dem heimischen Sandstein errichtet wurden. Die Bogengänge im Erdgeschoß erinnern an italienische Städte, wo sie die Spaziergänger vor Hitze schützen – hier mehr vor Schnee und Regen. Innerhalb der Arkaden reihen sich eleganten Geschäfte aneinander. Draußen zu Füßen der Arkaden öffnen sich mehr geschossige Keller, die früher zur Bewahrung von Heizmaterial dienten und heute verschiedenartigste Shops beherbergen, die alles anbieten, was man sonst in eigenen Stadtvierteln findet. Obwohl alles perfekt restauriert und geordnet wirkt, bleibt der Anblick der Fassaden etwas schuldig. Was es ist, ist schwer auszumachen. Ist es die grüngraue Farbe des Sandsteins, die durch keinen farbigen Anstrich aufgelockert wird? Ist es die Atmosphäre, die durch das wechselhafte Wetter nicht durchstrahlt wird? Ist es die Atmosphäre der Macht und des Geldes, die hier einen gediegenen Einfluss hat? Fehlt der katholische Geist? Ich weiß es nicht…

                  

Der Platz vorm Parlament, der von Verwaltungsgebäude umgeben ist, heißt Bärenplatz. Es ist sonnig hier: Mutter und Tochter spielen am großdimensionierten Spielbrett Mühle, während etwas abgerückt zwei Männer Schachfiguren auf dem Straßenspielfeld herumschieben. Vor uns erhebt sich die Kuppel des Parlamentes – ein Bau der nur das Erfordernis der Repräsentation erfüllt, sonst nichts…

Neben dem Bundeshaus West erstreckt sich die Kleine Schanze, die einen atemberaubenden Blick über die Stadt an der Aare erlaubt, die hier in einer Schlinge nach Nordwesten fließt. Und innerhalb der Schlinge liegt die Altstadt von Bern – an drei Seiten vom Fluss geschützt.

            

Das dreischiffige Münster St. Vinzenz von Bern wurde 1421 nach Plänen des Architekten Matthäus Ensinger, der auch Ulm und Straßburg plante, begonnen und - nach der Reformation - 1588 fertiggestellt. Das figurengeschmückte Hautportal des Münsters überstand zwar den Bildersturm der Reformatoren, doch mussten wegen der Luftverschmutzung im 20. Jahrhundert die 47 lebensgroßen Figuren durch Kopien ersetzt werden. Die Originalfiguren wurden restauriert und sind im Historischen Museum Bern ausgestellt, wodurch der Zauber des Portals wesentlich beeinträchtigt wird. Kopien erkennt man als Kopien – egal wie man es dreht und wendet…

Die 234 fein gearbeiteten Sandsteinfiguren des Münsterportals stellen das Jüngste Gericht dar und sind weltberühmt. Ein Engel, als Diakon gekleidet, führt die klugen Jungfrauen an, deren bräutlicher Prunk an niederländische Kunst erinnert; seine Schriftrolle enthält die Worte:

          Vorsichtig, keusch und wis (weise), wyl Ihr gewesen sind, gehnd herin, Freunde süss, zu Eurem Brütigam, Mariens Kind.

Rechts antworten die Törichten, händeringend, in fremdartiger Tracht:

          Ach und Weh, dass wir nicht Ochle hand (haben), Gehnd uns zu kauffen, dass wir mit Euch ine gahnd.

Der Turm wurde 1521 auf der Höhe des untern Achtecks (knapp 61 Meter) unterbrochen und erst von 1889 bis 1893 zur endgültigen Höhe von gut 100 Meter aufgebaut, was ihn zum höchsten Kirchturm der Schweiz macht. Dabei wurde nicht der Berner Sandstein, sondern der verwitterungs-beständigere Obernkirchener Sandstein aus Niedersachsen in Deutschland verwendet. 254 steinerne Stufen führen spiralförmig zur ersten Turmgalerie in etwa 50 Meter Höhe und weitere 90 Stufen zur zweiten Galerie auf 64 Meter, die dem Publikum ebenfalls zugänglich ist. Es eröffnet sich eine prachtvolle Aussicht über die Altstadt, die Aareschlaufe, die Berner Alpen mit Eiger, Mönch und Jungfrau im Südosten und die Juraketten im Nordwesten, wenn das Wetter passt. Uns ist dieser Blick aus Nebelgründen verwehrt

Spätgotische Fensterbahn

Der Chor des Münsters enthält sechs große, vierbahnige, spätgotische Maßwerkfenster mit Glasmalereien. Die bedeutendsten stammen aus der Mitte des 15. Jahrhunderts und sind Stiftungen bernischer Adels- und Notabelngeschlechter des späten Mittelalters. Entstanden sind sie zwischen 1441 und 1451. Drei Fenster, genauer gesagt das Hostienmühlenfenster, das Dreikönigsfenster und das Wurzel-Jesse-Fenster sind nahezu original erhalten geblieben. Zwei Fenster, das Passions- und das Zehntausendritterfenster, verloren mehr als die Hälfte ihrer ursprünglichen Scheiben. Diese erhaltenen Reste wurden später im Mittelfenster vereinigt und durch weitere Scheiben ergänzt. Für diese Schäden sind zwei schwere Hagelstürme verantwortlich, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts Bern heimsuchten, wobei die Scheiben auf der Südseite deutlich mehr beschädigt wurden als auf der Nordseite. Ein weiteres Fenster, eine Stiftung der Familie von Scharnachtal, wurde bereits beim ersten schweren Hagelsturm komplett zerstört. 1868 ergänzte man das Ensemble durch zwei neue Fenster auf der Südseite. Die Scheiben des 19. Jahrhunderts ahmen die Komposition der älteren Fenster zwar nach, heben sich aber mit ihren kräftigen Farben und dem hohen Realismus der dargestellten Figuren deutlich von den mittelalterlichen ab. Bedingt durch die stärkere Sonneneinstrahlung auf der Südseite und die grellere Farbpalette die man im 19. Jahrhundert verwendete, überstrahlen diese Fenster die Originale aus dem 15. Jahrhundert.

Das Chorgestühl wurde zwischen 1522 und 1525 angefertigt. Das Bildprogramm zeigt an den Rückwänden Brustbilder der Apostel (Nordseite) sowie der Propheten (Südseite). Auf den Außenwangen des Chorgestühls werden biblische Szenen dargestellt, während die Figuren, welche die Sitze schmücken, Menschen aus dem täglichen Leben zeigen.

Im Blick durchs Langhaus enthüllt sich das prächtige Netzgewölbe des Mittelschiffes, das mit bunten, sorgfältig gestalteten Schlusssteinen geschmückt ist. In der rechten Seitenkapelle fasziniert mich das Totentanzfenster, das erst 1917 entstanden, doch so recht den Geist des gotischen Vorbildes trifft.

 


Glasfenster mit Totentanz aus dem 19Jh.

                         

Da unsere Zeit begrenzt ist, beschließen wir den Nachmittag im Paul Klee Zentrum zuzubringen, das außerhalb des Stadtzentrums errichtet wurde. An der Kramgasse wollen wir noch das Einsteinhaus besuchen - d.h. die Wohnung, wo Einstein die Relativitätstheorie verfasst hat – doch es ist geschlossen. Ich fotografiere die Brunnenfiguren an der Kramgasse, ohne recht zu wissen, was sie darstellen – erst später werde ich die Figuren näher betrachten und einen Brunnen als Zähringer-Brunnen identifizieren, der das Berner Wappentier in Tunierrüstung zeigt und zu Ehren des Stadtgründers errichtet wurde.

 

                             

Den Abschluss der Kramgasse bildet das Wahrzeichen Berns, der Zeitglockenturm (Zytglogge), der bis etwa 1250 westliches Stadttor war und seine heutige Form bis 1771 erhielt. An seiner Ostseite findet sich die astronomische Uhr von Kaspar Brunner (1530) mit einem Figurenspiel, das vier Minuten vor der vollen Stunde zu laufen beginnt. Ich denke, dass die Figuren im Winter Pause haben - oder wir waren zu den entsprechenden Zeiten gerade irgendwo anders.

                   

Es dauert einige Zeit bis wir draußen beim Wellenmuseum ankommen, wo etwa vierzig Prozent des Klee Oevres verwaltet und in wechselnden Ausstellungen dem Publikum präsentiert wird.

       

Nur so nebenbei – selbst hier, wo wir später 20 Franken für die Eintrittskarte bezahlen müssen, wird extra Parkgebühr eingehoben – das macht schon ein wenig grantig. Doch die Stadtväter werden schon wissen, warum…

Es ist ein lichtdurchfluteter Raum, den wir betreten. Es gibt ein Cafe hier den Ticketverkauf und viele, viele Bücher. Wir besuchen die erste Ausstellung unter dem Titel „Übermütig“..

 

Mit dem Gemälde Uebermut schuf Paul Klee 1939 nicht nur eines seiner bekanntesten Werke, sondern verband darin seine Vorstellungen des kindlichen Spiels mit dem schwerwiegenden zeitgeschichtlichen Hintergrund. Ein prekärer Balanceakt erhält hier eine symbolische Bedeutung: Der Seiltänzer und Trommler weist auf den Überfall der deutschen Streitmächte auf Polen und den «übermütigen» Umgang mit dem Krieg.
Balance und Gleichgewicht, Akrobatik und Übermut thematisiert Klee in seiner reduzierten Formensprache der letzten Schaffensjahre. Das Gemälde bildet damit den Ausgangspunkt für die Ausstellung Paul Klee 
In den seitlichen Räumen folgt die Ausstellung mit weiteren rund 120 Werken zwanglos der Chronologie von Klees Schaffen und bietet einen Überblick zu seinen gestalterischen und inhaltlichen Themenfeldern. Von den frühen Jahren in Bern und München, über die Zeit des Ersten Weltkriegs und der Lehrtätigkeit am Bauhaus in Weimar und Dessau bis in die 1930er Jahre führt die Präsentation hin zu den großformatigen Gemälden der letzten Schaffensjahre.

Die Bilder Klees bestechen durch ihre reduzierten, auf das Wesentliche konzentrierte Formen. Doch gibt es auch Einige darunter, wo die Farben das Sagen habe und erst nach einigem Versenken in die Gesamtkomposition ihr Geheimnis preisgeben. Er ist kein „konsumierbarer“ Maler, der zur lauten Begeisterung hinreißt – sondern ein sehr zurückhaltender, in seinen Spätwerken auch nicht unmittelbar verständlicher Maler. Ich schaue mir die Bilder an und lasse sie auf mich wirken – und manchmal entwickelt sich ein Dialog zwischen dem Bild und mir, manchmal nicht. Um zu einem tieferen Verständnis seines Werkes zu kommen, müsste man wie immer studieren. Sich mit seinem künstlerischen Werdegang auseinandersetzen.

 

Eiapopeia. Das Kind im Klee. Zu 130 Zeichnungen und farbigen Arbeiten aus der Sammlung gesellen sich die poetische Installation Karussell des belgischen Künstlers Carsten Höller sowie Kurzfilme der Gebrüder Lumière. Mitten im Zentrum Paul Klee steht ein Karussell. Es ist der Blickfang und zugleich die Achse der Ausstellung, in der sich alles um die Kindheit dreht. Das Kinderkarussell des belgischen Künstlers Carsten Höller dreht sich nicht in berauschendem Tempo, sondern in unendlicher Langsamkeit – rückwärts. Dies mag den Frust, dass man die Installation nicht betreten darf, etwas lindern. Mit mehr Dynamik sind die Filme der Gebrüder Lumière unterwegs. Die Aufnahmen aus der Filmpionierzeit wirken, als wäre die Zeit stehen geblieben. Sie führen vor Augen, wie schnell das friedliche Spiel einer Kindergruppe in eine zügellose Streiterei ausartet und wie unverblümt sich Kinder benehmen – eine zeitlose Tatsache.

Ein Prinz ist Klee, Sonntagskind, das wir spielen lassen, weil sein reines, von Genien begnadetes Spiel unser eigenes Leben umsingt mit dem holden Eiapopeia des himmlischen Reichs.» Waldemar Jollos in der Zeitschrift Das Kunstblatt, 1919
Die Kindheit war eines der Leitmotive von Paul Klee. Seine eigenen Kinderzeichnungen entdeckte er 1902 wieder. Beeindruckt von der kindlichen Kritzelei, nahm er sie später in seinen eigenen Werkkatalog auf und betrachtete sie fortan als vollwertige Kunstwerke. Wie in den Lumière-Filmen kommen bei Klee nicht nur nette, süße Kinder vor, sondern auch zornige und aggressive. Sie stellen Täter oder Opfer dar und sind nicht a priori naiv – denn der gute Beobachter Klee wusste, dass Kinder einen auch listig berechnend um den Finger wickeln können.

 

Die Präsentation ist gut gewählt, weil nach Themen geordnet, die Z. B. die Beziehung der Kinder zu ihren Eltern und Lehrer beleuchtet. Das Feld, wo er verschiedene Charakterhaltungen von Kindern illustriert, gefällt mir besonders gut – hier kommt seine karikaturistische Kraft voll durch.

Eine besonders gelungene Einrichtung im Rahmen des Zentrum Paul Klee ist die Malwerkstatt. Hier können Kinder und Erwachsene mit verschieden Materialen ihre eigenen Entwürfe zu bestimmten Themen verwirklichen. Würde mich gern unter die Kinder mischen, aber wir müssen weiter.

Draußen im Bookshop blättere ich in dem reichhaltigen Angebot von Klee-Publikationen. Es sind ausgezeichnete Sachen darunter, aber schon sehr teuer. Schließlich nehme ich eines aus der Sammlung mit, das sich mit seinen Alterszeichnungen beschäftigt und den sprechenden Titel hat

Kein Tag ohne Linie“.

 


 

Freiburg

 

 

Freiburg präsentiert sich trotz dichtem Regen als freundliche und offene Stadt.

Wir wandern von der Universität, die ein riesiges Areal umfasst und die Altstadt im Nordwesten dominiert, Richtung Stadtzentrum und erleben die Rue.d.Lausanne als liebenswürdige Straße mit ganz besonderen kleinen Shops, die ganz andere Sachen anbieten, wie die Läden der bekannten Marken. Überhaupt ist die Allgegenwart von H&M und den anderen Fetzenläden mittlerweile eine richtige Plage, weil ein individueller Kleidungsstil dadurch verunmöglicht wird. Die jungen Leute tragen daher überall dasselbe Zeug – was vielleicht nur mich stört und sonst niemand.

Die teuren Kleidergeschäfte in Wien oder in Interlaken oder in Bern, die zeigen schon, was möglich ist – an traditionellem oder elegantem Stil. Doch für die kleiner Brieftasche gibt es nur das Angebot in den Kettenläden. Anders in Freiburg - hier könnte ich in jeder der kleinen Boutiquen Sachen einkaufen, wenn wir nicht anderes vorhätten….

Und daher beginnen wir uns Tour bei der Kathedrale St. Nicolas. Sie liegt an einem sehr unregelmäßig offenen Platz, wo sich anderen Sehenswürdigkeiten anreihen.

Die Kathedrale wurde im Zeitraum von 1283 und 1490 erbaut und ist zweifellos eine besonders gelungene architektonische Leistung der Gotik. Einer Legende nach und ist ihr 74 Meter hoher Glockenturm unvollendet, weil es an Geld mangelte. Und ich denke, dass es auch der wahrscheinlichste Grund ist, der die Vollendung verhinderte.

                 

 Ihr Hauptportal schmückt ein Basrelief mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts – an den Seitenwände des Portals eine Verkündigungsszene und Apostelgestalten, die aus dem 15. Jh. stammen und heute durch Kopien ersetzt sind. Den Mittelpfeiler schmückt eine Statue des Hl. Nikolaus – auch diese eine Kopie – das Original findet sich im Historischen Museum der Stadt.

Der Innenraum ist durch gotische Bündelpfeiler gegliedert, die an ihren Diensten mit goldenem Rankenwerk geschmückt sind, die auf barocke Nachbesserungen schließen lassen – obwohl in der Schweiz die Barocke wesentlich zurückhaltender baut und schmückt, als dies in Österreich und Bayern der Fall ist.

                 

 Glücklicherweise falle ich zu allererst in die Heiligengrabkapelle hinein - rechts am Beginn des Langhauses, wo eine aus Sandstein gemeißelte Gruppe aus dem Jahr 1433 noch in situ zu besichtigen ist und nicht durch Kopien ersetzt wurde. Und sie hat es in sich diese Gruppe von Trauernden, die den toten Jesus gerade ins Leinentuch hüllen. Man kann es nicht wirklich beschreiben, welcher Zauber diese Figuren umgibt. Gerade lebensgroß herausgemeißelt, entwickelt jede Figur ihren eigenen Trauerausdruck. Zurückhaltend die Männer, die Jesus gerade ins Tuch wickeln. Besonders bewegend die Gottesmutter, die gleichsam bewusstlos in den Armen von Johannes hängt. Und ich bleibe lange hier, um der Kraft des Glaubens nachzuspüren, die von diesen Figuren ausgeht.

In die Seitenkapellen fügen sich die Barockaltäre ein, die nicht wirklich großartige Gemälde anbieten können – dazu fehlte es den Schweizern an großen Meistern. Doch einige Blätter sind wirklich ordentlich gemalt.

Als ein wirkliches Juwel kann allerdings der Taufbrunnen gelten, der 1498 geschaffen wurde und dessen oberer Rand mit Engels- und Heiligenreliefs geschmückt ist. Gelungen auch die barocke Abdeckung aus dem Jahr 1686, die offensichtlich so schwer ist, dass sie nur mit einem Flaschenzug bewegt werden kann.

Taufbrunnen von 1498

Wirklich beeindruckend und überwältigend – weil so unerwartet – die Glasfenster der Kathedrale. Die vom polnischen Maler Jozef Mehoffer zwischen 1896 und 1936 geschaffenen Kirchenfenster bilden eines der bedeutendsten Gesamtwerke Europas auf dem Gebiet der Jugendstil-Kirchenfenster. Interessant auch die Ikonographie der Fenster, die eigenständige symbolische Lösungen anbietet, die ich in dieser Form noch nie gesehen habe.

Links: Rütlischwur

Rechts: Anbetung der Weisen/ Herodes wird durch die Schlange zum Kindermord verführt.

 

Die Orgeln verbinden klassische und romantische Merkmale. Sie sind das Werk des lokalen Orgelbauers Aloys Moser. Seine zwischen 1824 und 1834 erbauten Instrumente erlangten schon früh einen internationalen Ruf und zogen berühmte Musiker wie Franz Liszt und Anton Bruckner an.

 Unser nächstes Ziel ist das Gutenberg Museum, ein Einrichtung, die jedem Journalisten oder Bücherliebhaber das Herz höher schlagen lässt. Hier sind alle Werkzeuge zu finden, die durch die Jahrhunderte zur Erzeugung des Herzstücks der europäischen Zivilisation und Kultur dienten: die Schreibfedern und Pergamente der Mönche – dann die ersten Druckmaschinen – Ungetüme aus technischen Urzeiten – dann die neueren, verbesserten Formen – alles sehr gepflegt und vielleicht auch noch einsetzbar – bis ja hin zum modernen computergesteuerten Presseapparat…

 

 Und im zweiten Stock findet sich eine originale Seite der Gutenbergbibel. Sehr eng und ökonomisch gesetzt – sparsamer, als die handgeschriebenen Bibeln und auch spätere Druckwerke.

                  

Im dritten Stock wird die Geschichte der Schweizer Banknoten aufgerollt – und ich erfahre, dass die Habsburger sehr viel früher Papiergeld im Umlauf brachten, als alle anderen europäischen Länder.

 In der Franziskanerkirche der Eglise des Cordeliers hat sich im gotischen Chor ein wunderschöner Flügelalter erhalten. Er ist 1481 entstanden. Auf Goldgrund zeigt das zentrale Blatt eine Kreuzigungsgruppe mit Maria und Johannes, flankiert von vier Heiligen.

  

Links davon die Flucht nach Ägypten – rechts davon die Anbetung der Magier. Die Figuren entsprechen zwar der stilistischen Malweise der Gotik, dennoch verraten ihre Gesichter individuelle Züge – was auf künstlerisch begabte Maler hinweist, die man auch kennt, wie Albrecht Nentz und den „Meister mit der Nelke“.

 An der linken Langhauswand entdecke ich noch ein wunderschönes und berührendes Fresko eines Christus, der unter dem Kreuz zusammenbricht.

      

Unsere letzte Station für heute ist das Museum für Kunst und Geschichte.

Von diesem Museum kann ich nichts erzählen oder im Einzelnen beschreiben. Hier konnte ich nur schauen und schauen – und glücklich sein. Hier sind sie versammelt die Flügelaltäre, die Holzstatuen aus den kleinen Weilern und Dörfern der Umgebung und darüber hinaus. Die Holzschnitzer von Freistadt zur Zeit der Gotik waren große und gefragte Künstler. Und manchen von ihnen gelang es schon damals die Grenzen der „Gebrauchskunst“ zu sprengen und wahrhafte Meisterwerke von Bewegung und Komposition hervorzubringen.

Fotos gibt es keine dazu – verboten. Die Bücher zu den einzelnen Werken waren wirklich extrem teuer. Und da ich kaum hoffen kann, dass sich in meiner Umgebung irgendwer für gotische Plastik interessieren wird – lasse ich es bleiben und nehme keinen dieser Wälzer mit nach Hause. Doch in mir sind die Gestalten lebendig geblieben – die völlig verinnerlicht lächelnden Madonnen - die ausdruckstarken Passionsdarstellungen und Heiligengestalten, die noch über die Jahrhunderte hinweg auf den Betrachter ihre transzendente Ruhe ausstrahlen.

 Freiburg hätte noch vieles an kirchlichen Sehenswürdigkeiten zu bieten. Auch fehlt uns der Aufstieg zum Turm, den das Regenwetter verhindert hat – doch ein Tag ist kurz und letztlich wird uns auch noch der Besuch beim Canisiusgrab verwehrt, weil die Kirche zugesperrt ist.

 

Solothurn

Da in der Schweiz, die Städte nicht wirklich weit voneinander entfernt sind, geht unsere nächste Fahrt nach Solothurn. Salodurum soll neben Trier die älteste römische Siedlung nördlich der Alpen sein. Im Jahr 303 fanden hier Ursus und Viktor von der Thebäischen Legion den Märtyrertod und um 370 errichteten die Römer ein Castrum, von dem noch Reste erhalten sind. Der Grundriss der Altstadt, ein Rechteck von 400 mal 300 Meter geht auf die Gründung der Zähringer zurück.

Wir parken in der Nähe des Bieltores, einer aus massiven Steinen errichteten Rundturmes, in dessen unmittelbaren Nähe der polnische Freiheitsheld Tadeusz Kosciuszko (1746-1817) seine letzten beiden Lebensjahre verbrachte.

In professioneller Weise steuern wir die St.Ursen-Kathedrale an, aber ohne Erfolg, weil gerade restauriert wird und somit auch die Kostbarkeiten der Schatzkammer für uns unerreichbar bleiben. Doch frohgemut wandern wir durch den Regen und besuchen die „kunsthistorisch bedeutende“ Jesuitenkirche; sie gilt als Bindeglied zwischen oberdeutschen Jesuitenkirchen und der Vorarlberger Wandpfeilerhalle.

                   

Außen trägt die Kirche die typische Fassade der Barockkirche: durch Portale und hohe Fenster gegliederte Fassade – geschmückt mit Halbsäulen, wird durch querverlaufende Friese der Untere Fassadenbereich vom oberen getrennt. Die rechteckige Fassadenwand wir schließlich von einem Scheingiebel bekrönt, dessen flache dreieckige Form hier nur mit vorkragenden Lisenen ohne besondere Verzierung betont wird.

             

Der Innenraum besticht durch die zurückhaltende Stuckverzierung, die zwar ganz im Geist der Barocke eine wichtige Rolle spielt, aber nirgends zur Überladung neigt. Da sind wir schon andere Dinge gewöhnt, im Barockeldorado Österreich. Besonders erfreulich sind die schönen Seitenaltäre. Auch hier sind in traditioneller Weise die Altarrahmen in Schwarz und Gold gehalten – doch bleiben sie Rahmen um die Altarblätter und werden nicht zu eigenständigen Kunstgegenständen. Und das ist gut so, weil die Altargemälde zum Teil wirklich gut sind. Wer sie gemalt hat? Da kein Kirchenführer aufliegt, kann ich diese Frage nicht beantworten. Fein in den Innenraum eingefügt die Kanzel. Und der Blick zu den lichtdurchfluteten Galerien gibt auch Einiges her. Es ist eine gelungene Barockkirche, zu Maria Himmelfahrt und ich freue mich, dass wir schauen und beten dürfen, wo vor dem Altar ein rotes Licht brennt…

Die wunderschöne Fassade der mächtigen St. Ursen Kathedrale lässt ein wenig erahnen, dass ihre Renovierung viel Anstrengung und Geld kosten wird.

               

Wir schlendern im Regen herum und fotografieren den Zeitglockenturm, der ähnlich wie in Bern den letzten Rest der Zähringerburg repräsentiert. Auch dieser Turm verfügt über ein schönes Figurenspiel, und zwar zeigt es die Gestalt des Königs zwischen Tod und Krieger.

   Wir verlassen die innere Altstadt und streben auf das Kunstmuseum zu, das Werke von H. Holbein und Franz Hodler verspricht. Unterwegs bewundern wir noch die alten Festungsmauern der Zähringer, die sich überraschend gut erhalten haben. Im Museum erwartet uns das enttäuschende „Geschlossen“ für die oberen Räume. Zu sehen sind nur die Werke von Gunter Frentzel, beeindruckende abstrakte Skulpturen aus vierkantigen Profileisen.

Von den elf Brunnen, die der Kunstführer in Solothurn angibt, schaffen wir nur drei: den Gerechtigkeits-, den Georgs- und Simsonbrunnen. Im Grunde wirken sie ein bisschen karnevalesk, diese bunte gefärbelten Statuen auf den grellgestrichenen Säulen über den winzigen Brunnenbassins, insbesondere dann, wenn man italienischer Stadtbrunnen oder barocke Klosterbrunnen im Hinterkopf hat.          

                       

Die Besichtigung der eidgenössischen Waffenkammern im Zeughaus verweigern wir – schon zu viel Steinschlossgewehre und Rüstungen in den verschiedensten Burganlagen gesehen…

 Nun haben wir wirklich Zeit, um den Kunstmarkt von Solothurn zu besuchen, um dort zu stöbern und wenn möglich Bilder einzukaufen. Doch sind wir zu früh dran und müssen eine Stunde unserer Zeit „totschlagen“. Und wo geschieht das am besten? In einer Buchhandlung! Und es wird sehr gemütlich in der Buchhandlung inmitten der Altstadt. Ich verkrieche mich mit einem Buch von Erwin Kräutler in das Untergeschoß. Andrea schmökert in den Sonderangeboten. Es ist ruhig und angenehm hier. Keiner stört – keiner redet laut – alle sind freundlich – Geheimnis einer Kleinstadt. Später werden wir von einer jungen einheimischen Frau erfahren, dass es in Solothurn einfacher zu leben ist, als in den großen Städten und auch billiger.

              

Schließlich machen wir uns wieder auf zum Kunstmarkt. Am Weg dorthin überschreiten wir eine Brücke, die wunderschöne Flussansichten bietet. Das Lokal, wo die Ausstellung stattfindet, ist ein altes Gebäude, dessen Zwischenwände niedergelegt wurden, um einen großen Raum zu gewinnen. Und dann tauchen wir ein in die vielfältigen Angebote der zeitgenössischen Künstler und blättern und blättern in den Arbeiten von Menschen, die sehr unterschiedlich ihre Kraft und ihr Können eingesetzt haben, um Bilder zu schaffen, die sie zur Freude von anderen Menschen weitergeben können. Und wir erstehen beide ein Bild, das uns Freude macht. Ich bin überzeugt, dass mein Bild ein echtes Kunstwerk ist…

 

Thun

Den Spuren der Besucher anderer Jahrhunderte möchte ich in Thun nachgehen.

Johann Wolfgang von Goethe war 1779 hier gemeinsam mit dem jungen Carl August, Herzog von Weimar. Die Idee des Herzogs war es, inkognito zu reisen, wodurch sich auch ihr Aufenthalt in der Schweiz entsprechend einfach und manchmal mühselig gestaltete. Thun am Westufer des Thunersees war ihre Endstation mit der Kutsche. Von hier ging es die weite Strecke über den See per Boot. Die Fahrt war lang und extrem wetterabhängig. Doch kam man trotz grauem Himmels gut voran und war noch am selben Tag zu Mittag im Gasthof Stadthaus in Untersee beim Mittagessen.

Man beschließt bald wieder aufzubrechen und nach Lauterbrunnen weiterzufahren. Hier logiert man im Pfarrhaus, wo die Zimmer zwar klein sind, aber der Ausblick umwerfend. Die Gesellschaft hat Glück mit dem Wetter und Goethe ist fasziniert von dem Anblick der schneeweißen Jungfrau, die sich immer klarer aus den Nebeln herauslöst. Doch die poetischen Worte des jungen Goethes gelten einer anderen alpinen Schönheit, dem Staubbachfall.

... wir haben den Staubbachfall bei gutem Wetter zum ersten Mal gesehen. Die Wolken der oberen Luft waren gebrochen und der blaue Himmel schien durch. An den Felswänden hielten Wolken, selbst das Haupt, wo der Staubbach herunter kommt, war leicht bedeckt. Es ist ein sehr erhabener Gegenstand… schrieb er an Charlotte von Stein. Zwei Tage blieben sie im Pfarrhaus von Lauterbach, währenddessen es Goethe immer wieder zu dem Wasserfall hinzog, der sich in ihm zu einem Symbol des Lebens verdichtete, was schließlich in einem wunderbaren Gedicht Ausdruck fand.

Gesang der Geister über den Wassern

Des Menschen Seele

Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muss es,
Ewig wechselnd.

Strömt von der hohe
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!


 

Heinrich von Kleist

besuchte 1802 die Schweiz allein, nach seinem Abschied vom Militär und einer unbefriedigenden Reise nach Paris, die er gemeinsam mit seiner Schwester Ulrike unternommen hatte, um auf andere Gedanken zu kommen.

In Bern hatte er Freunde gefunden. Heinrich Gessner, Buchhändler und Verleger, Ludwig Wieland, Sohn des Dichters Christoph Martin Wieland und Heinrich Tschokke, einen angehenden Dichter, der vormals Schweizer Regierungsbeamter war. In Tschokkes Zimmer hing ein rätselhaftes Bild, ein Kupferstich mit dem Titel „Der zerbrochene Krug“. Oft hatten sie die Szenerie als Vorwurf für phantastische Spekulationen benützt, bis sie beschlossen das Rätsel mit einem Dichterwettstreit zu klären; derjenige, der die geheimnisvolle Vorlage mit größter dichterischer Kraft vortrüge, würde den Sieg davontragen. Obwohl sein Trauerspiel, „Familie Schroffenstein“ die Freunde noch zu Heiterkeitsausbrüchen hingerissen hatte, kam beim Entwurf des „Zerbrochenen Kruges“ kein Lacher auf. Die Freunde hörten ihm ehrfürchtig zu, verstummten und gratulierten.

Und dieser Entwurf harrte nun seiner Ausführung.

Kleist hatte auf der oberen Aareinsel eine Zuflucht gefunden, die ihm alle Voraussetzungen bot, um zu arbeiten. Die Tochter seines Vermieters führte ihm den Haushalt und dort schrieb er im Angesicht der schneeweißen Riesen seine Familie Schroffenstein zu Ende, erarbeitete Teile des „Zerbrochenen Kruges“ und begann das geheimnisvolle und überwältigende Werk des „Guiskard“. Darüber schreibt Christoph Martin Wieland – dem er daraus aus dem Gedächtnis rezitierte - begeistert:

Kleist sei dazu geboren, die große Lücke in unserer damaligen Literatur auszufüllen, die (…) selbst von Goethe und Schiller noch nicht ausgefüllt worden ist.

Goethe tat sich allerdings schwer mit dem jungen Genie: Mir erregt dieser Dichter, bei dem reinsten Vorsatz einer aufrichtigen Teilnahme, immer Schauder und Abscheu, wie ein von der Natur schön intonierter Körper, der von einer unheilbaren Krankheit ergriffen wäre. Und auf diesem zweifellos richtig herausgefühlten Hintergrund in Bezug auf den jungen Geist, wird er auch die Kraft des „Zerbrochenen Kruges“ gesehen und damit die missratene Uraufführung des Werkes mitverantwortet haben.

Kleist braucht das Städtchen als Kulisse für sein Schaffen, als Leinwand für seine Projektionen. Aber unter Kleists Blicken wurden die Kulissen zunehmend löchrig und nach einigen Wochen zeigen sich die ersten Risse. Diese kann er vorerst übertünchen. Der See und die Schneeberge sind ja da. Die alten Linden rauschen beruhigend neben dem Haus und duften betörend im beginnenden Sommer. Mädeli waltet in der kleinen Küche. Kleist muss kein Amt erfüllen, ist niemand verpflichtet. Robert Walser, der dem innerlich verwandten Dichter nachspürt schreibt dazu:

Die Natur ist wie eine einzige große Liebkosung. Wie das freut und zugleich schmerzen kann. Manchmal, besonders an schönen Abenden, ist ihm als sei hier das Ende der Welt. Die Alpen scheinen ihm der unerklimmbare Eingang zu einem hochgelegenen Paradiese zu sein. Er geht auf seiner kleinen Insel Schritt für Schritt, auf und ab. Das Meitschi hängt Wäsche zwischen den Büschen auf, in denen ein melodiöses, gelbes, krankhaftschönes Licht schimmert. Die Gesichter der Schneeberge sind blass, es herrscht in allem eine letzte unanrührbare Schönheit.

An den hellen Tagen lassen sich die Risse kleistern, aber es gibt auch andere, lichtlose Stunden, die schwer auf Kleist lasten. Dazu lesen wir wieder bei Robert Walser:

An Regentagen ist es entsetzlich kalt und leer. Die Gegend fröstelt ihn an. Die grünen Sträucher winseln und wimmern und regentröpfeln nach Sonnenschein. Schmutzige, ungeheuerliche Wolken gleiten den Köpfen der Berge wie große, freche, tötende Hände um die Stirnen. Das Land scheint sich vor dem Wetter verkriechen zu wollen, es will zusammenschrumpfen. Der See ist hart und düster und die Wellen sprechen böse Worte.

Kleist schreibt gegen seine dunklen Gedanken an, aber es wird zu einer immer größeren Anstrengung. Die Gegenwart des Mädchens, das ihm sein Wirtschaft führt und ihn oft in ihrer Einfachheit bezaubert und aus traurigen Gedanken herausgelöst hatte, nimmt er nicht mehr wahr. Und nur selten verlässt er das Haus, um sich über den Fluss rudern zu lassen oder über die Brücke hinauf in die Stadt zu gehen, die vom hochaufragenden Schloss und der Stadtkirche bekrönt wird.

Robert Walser: Zuweilen, an gewöhnlichen Werktagen, scheint ihm das Städtchen von Sonne und Stille verzaubert zu sein. Er steht still vor dem seltsamen alten Rathaus mit der scharfkantigen Jahreszahl im weißschimmernden Gemäuer. So verloren ist alles. Wenig Leben, nein gar keins…

Im Juni ergreift ihn Fieber. Mit hochrotem Kopf schreibt er weiter, manchmal gegen Ekel ankämpfend. Dann an irgendeinem fiebrig heißen Tag zerfällt die Kulisse ganz. Das Idyll ist zu Ende. Schrecken erfüllt ihn und Kleist flieht aus Thun, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

Er wird mit seinem Freund Ernst von Pfuehl im nächsten Jahr wiederkommen. Aber es gab kein zweites Thuner Idyll für Kleist. Die Berge boten keinen Halt mehr, seine Augen glitten ab. “Der Zerbrochene Krug“ wurde erst 1806 fertig. Die Vollendung des „Guiskard“ gelang nicht, und im Herbst darauf verbrannte er in Paris die fertig gestellten Teile des Dramas. Der Himmel versagt mir den Ruhm, das größte der Güter der Erde…,

schrieb er damals verzweifelt an seine Schwester Ulrike. Im September 1903 verlässt Kleist das Berner Oberland. Thun blieb eine Episode in seinem Leben, aber zweifellos eine der glücklichsten…

Auch Johannes Brahms hat in Thun 1886 und 1887 logiert und komponiert. Es gefiel ihm hier in dieser grandiosen Seen-und Berglandschaft. Die Wochenenden verbrachte er zumeist bei der befreundeten Berner Familie Widmann, wo musiziert und diskutiert wurde und einfach Geselligkeit gepflegt wurde, die so wichtig ist für den künstlerisch tätigen Menschen, der die Einsamkeit zwar braucht, aber ebenso den Austausch mit anderen. Die Wochentage flossen ruhig dahin. Sie gehörten ganz der Musik und seiner kompositorischen Arbeit.

Wenn er zum Mittagessen außer Haus ging, war er mit einfachem Wollhemd ohne Kragen und Krawatte bekleidet und trug meistens den Hut in der Hand. Doch niemand unterschätzte diesen Mann, der klein und untersetzt war, einen wildwuchernden Bart trug und mit lauter Stimme sprach. Die natürliche Autorität, die von ihm ausging gebot Respekt. Und wenn man wusste, wer er war, dann steigerte sich dieser Respekt zur Ehrfurcht. Dieser Gast von Thun war ein Meister der Musik, ein berühmter deutscher Komponist und Pianist, sehr erfolgreich und reich.

Heute trägt ein Quai am Ostufer der Aare den Namen des berühmten Komponisten Brahms, während das Haus, worin Kleist gearbeitet und gelitten hat, 1940 abgerissen wurde, weil es baufällig geworden war. So zur äußeren Situation.

Dennoch freue ich mich an den Plakaten, die der Aufführung von Rahms Requiem in der Stadtkirche gewidmet sind, die tatsächlich einen wunderbaren Rahmen für Konzerte abgibt. Mir scheint, das reformierte Kirchen die fast überall mehr als Konzertsäle genutzt werden, denn als Räume für den Gottesdienst. Doch rechne man den letzten Satz den typisch Katholischen Vorurteilen zu, von denen ich zweifellos nicht frei bin.

Zunächst nähere ich mich über die überdeckte Brücke dem Stadtzentrum, das sich längs einer Insel zwischen zwei Flussarmen erstreckt. Mächtige Hotelbauten flankieren schon zu Beginn die elegante Einkaufsstraße, wo alle Kettenläden ihre Shops eröffnet haben, einschließlich Mac Donalds. Und dennoch hat diese Straße etwas – sie wirkt lebendig und ein wenig südländisch auf mich – die Leute scheinen heiter und bewegen sich ohne Hast. Ich schlendere durch und bemerke auf dem relativ kurzen Straßenstück drei Buchläden, d.h. dass trotz Thalia auch noch andere Büchergeschäfte mit ihrem eigenen Publikum rechnen können und das freut mich für die Stadt mit ihrer „literarischen“ Vergangenheit..

 

Die obere Altstadt bildet den alten Kern von Thun, mit Rathaus und Metzgerhaus als Zeugen einer Vergangenheit, die auch schon von Goethe, Kleist, Brahms und noch einige weiteren berühmten Männer und Frauen, wie Alexander Dumas, Mark Twain oder Madame de Stael bewundert wurde. In das alte Ensemble fügt sich nahezu nahtlos das Hotel zur Krone ein, das 1972 völlig neu errichtet wurde. Im Grunde eine beindruckende Leistung, die mich davon überzeugt, dass historische Nachbauten auch gelingen können.

Ich wandere die Treppen hinauf zum Schloss, das eine besonders schmale und hohe Silhouette präsentiert, aber nur sonntags geöffnet ist. Eigentlich bin ich froh, dass ich als verantwortungsvolle Touristin der Pflicht enthoben bin, in dunklen Räumen geschnitzte und bemalte Holzdecken und Waffen zu bewundern oder in Verliese hinabzusteigen. Mit großer Freude vertrödle ich die angemessene Zeit auf einer gelben Parkbank mit Blick auf das Panorama von Stockhornkette, Niesen und Blümisalp. Es ist warm und angenehm auf meiner Bank – sehr still und einsam.

Später besuche ich die Stadtkirche, die mich im Vorhaus unter dem Turm mit wunderschönen gotischen Fresken überrascht. Die Reformatoren hatten sie übermalt, wodurch sie ideal von Witterung und Zerstörung geschützt wurden. Im 20.Jh.wurden sie wieder entdeckt, freigelegt und immer wieder restauriert. Ich freue mich an den mächtigen Gestalten der Evangelistensymbole – an dem Adler, der fast naturalistisch und doch symbolisch überhöht hier abgebildet ist. Der Freskenmaler wusste, wie ein Adler aussieht, hatte in seinem Leben aber kaum Gelegenheit einen Löwen zu sehen – wodurch der Löwe eher zu einer mehr symbolischen Figur geriet. Dennoch freue ich mich über die verbliebenen Szenen und hoffe noch andere zu sehen, eine Hoffnung, die sich aber nicht erfüllen wird.

Nun aber gilt es einzutauchen in die moderne Kunstszene der Schweiz, die mir schon viel Freude bereitet hat. Während anderswo gern alte Paläste zu Museen umfunktioniert werden, sind es in der Schweiz auch die Parterreräume von Hotels, die für Ausstellungen herangezogen werden.

Hier ist es der Thunerhof, wunderschön gelegen am Ostufer der Aare, mit offenem Blick auf die Berge, wo die Werke zeitgenössischer heimischer Künstler gezeigt werden. Mir gefällt die frische Art, wie die jungen Künstler hier zu Werke gehen. Sie scheinen völlig unbeeinflusst einfach ihren Ideen nahzugeben und sich keine Fragen zu stellen, ob und wen sie kopieren. Eine bunt bemalte Wand – davor schräg gestellte schmale Spiegel und fertig ist das Ganze. Dazu kommt, dass jeder der Besucher in den Spiegeln abgebildet wird, womit das Werk zusätzlich an Kraft gewinnt.

              

Eine Videoinstallation, die auch in Wien entstanden sein könnte, besteht darin, dass ein Mädchen im offenen Türbereich eines Hauses schaukelt, wo Schatten und Licht im harten Kontrast zueinander stehen. Der Kamerablick wechselt später auch zum Boden, wobei die schaukelnde Kleine und die Lichter am Boden überblendet werden. Dazu gibt es passende musikalische Untermalung. Am Ende wird die leere Schaukel gezeigt, deren Bewegungen immer langsamer werden.

Ein besonderer Wurf war die Lichtinstallation, deren Funktionsweise ich mir nicht erklären konnte, weil ich davon zu wenig verstehe. Darüber hinaus war die Farbauswahl und Farb- Kombination in meinen Augen einfach gelungen und wirklich schön.

Dass man Probleme aufwerfe kann, ohne in Finsternis und Abgründigkeiten zu versinken beweist hier eine junge Schweizerin, die auf einem Bauernhof aufgewachsen ist. Sie reiste zu vielen verschiedenen Bauernhöfen - suchte sich eine Ecke aus, montierte eine Kamera und filmte sich bei irgendeiner Tätigkeit, die nicht unbedingt zu den Heuhaufen, den Stallräumen, den Silos ect. passte. Das Ergebnis: eine humorvolle und durchaus positive Einführung zum Thema: „Was ist Arbeit?“

                     

Schließlich zog ich weiter Richtung Scherzlinger Kirchlein, das von dem Mädeli und Kleist besucht wurde: Sie zum Gottesdienst, er zur Freude am einheimischen Volk. Einen weiten Umweg bin ich gegangen, um dorthin zu kommen, und dann war die Kirche mit den romanischen Fresken zugesperrt. Auch die beiden Telefonnummern waren keine Hilfe und so schlich ich traurig weiter in den Park des Schlosses Schadau. Das Gastronomie-museum war zwar geöffnet, aber irgendwie fehlte mir die Leidenschaft, um die Räume hier zu durchwandern. Anstelle dessen blickte ich zu den weißen Riesen, die sich am Ostufer des Thunersees erhoben. Fasziniert und überwältigt von dieser Kraft und Mächtigkeit der hohen Gipfel stand ich nur und schaute und fühlte Ähnliches, wie die vielen Besucher vor mir, von denen einige diesen Eindruck auch in Worte fassen konnten. Ich kann nur schauen und staunen.

 

 Ringgenberg

Bergnest am Nordufer des Brienzer Sees. Und dieser See hat Persönlichkeit. Seien Wasser kräuseln sich jeden Tag anders. Die Farbe des Wassers wechselt je nach Wetter –zumeist schimmert es am Nordufer in Türkis. Der Uferpfad Richtung Osten schlängelt sich lang und schmal am Ufer entlang ja bis man hinaufsteigen muss, wo die Chalets stehen, die mit dem Blick über den See aus erster Reihe. Aber es sind kaum Spaziergänger unterwegs und so kann ich meinen Gedanken freien und ungestörten Lauf lassen – kann tanzen und springen, obwohl – wie Alfred angedeutet hat – man in der Schweiz immer unter Beobachtung steht, auch wenn man sich völlig einsam wähnt.

Heute hat mir doch ein kleiner Knirps versichert, dass ich auf meinem Parkplatz nur zwischen 12 und 13 Uhr stehen darf. Das ist natürlich ein Schwachsinn - aber mir hat das nachträglich gutgefallen, weil der freche Knirps die allgegenwärtigen Gebote auf die Schaufel genommen hat.

 Die großen behäbig wirkenden Häuser sind in Ringgenberg oft von zwei verschiedenen Besitzern bewohnt, d.h. das Doppelhaus hat hier schon lange Einzug gehalten.

 

 

 Ausflug nach Mürren und Schilthorn

 

Die Wetteraussichten sind gut und es ist  zu erwarten, dass oben auf den Bergen die Sonne scheint. Und da in der Schweiz auf alle bedeutsamen Hügel und Berge Bahnen hinauffahren, beschließe ich einen Dreitagepass zu  kaufen und zunächst aufs Schilthorn hinaufzugondeln. Das geschieht in mehreren Etappen. Zunächst geht es mit dem Zug nach Lauterbrunnen. Dieser Ort ist nur eine Ansammlung von Häusern, obwohl der Ort schon sehr lange existiert und auch schon von Goethe besucht wurde. Es gibt auch eine Kirche hier und ein Pfarrhaus, wo Goethe damals gewohnt hat , von dem er  den Staubbachwasserfall immer wieder bewunderte. Jetzt ist von diesem Wasserfall nicht viel zusehen, weil im Winter das Eis am Felsen die Wassertropfen gleichsam anfrieren lässt und nur ganz wenig Wasser von der Felskante herunterfällt.

Mit dem Bus fahre ich durch das Lauterbrunnental das vom  Breithorn im Süden abgeschlossen wird, Richtung Stechelberg. Der Grasbewuchs deutet auf Viehwirtschaft hin und ebenso die vielen Hütten, wo das Heu aufbewahrt wird.Das Lauterbrunnental ist ausserdem ein Anziehungspunkt für  Base Jumper aus  aller Welt, die von den umliegenden, um die 400 m bis 600 m hohen Felswänden wie der Mürrenfluh oder der Staldenfluh abspringen. So gibt es jährlich etwa 20.000 Sprünge. Unter Base Jumpern bekannt sind Absprungpunkte wie High Nose "Ultimate, Nose und La Mousse. Leider ist die Todesrate auch sehr hoch. 15 % aller tödlichen Base-Jumping-Unfälle weltweit geschahen im Lauterbrunnental. Die bisher 28 Toten (Stand: 16. September 2011) lösten Diskussionen über ein Springverbot aus.

Mit der Seilbahn geht es von Stechelberg hinauf nach Mürren – einem Dorf, wo es keine Autos gibt. Und es ist wunderschön da. Die Sonne scheint warm und taucht die beschneite Landschaft in ein kontrastreiches gleißendes Licht, dem dunkle Schatten gegenüberstehen.


 Ich wandere langsam herum und besuche die Katholische Kirche, wo gerade ein Begräbnis-Gottesdienst gefeiert wird. Es ist angenehm warm im Kirchenraum, wie überall in der Schweiz  - doch ich versteh kaum etwas, wovon der Diakon predigt…

Draußen auf der Kirchenbank  esse ich mein Mittags-Weckerl, bevor ich mich weiter auf den Weg mache. Da ich die Kamera nicht extra aufgeladen habe – ist das Porträt des Eiger mein letztes Bild für heute – und alles was ich noch sehen werde, bleiben nur Bilder in meiner Erinnerung.

                                          

                   

Oben am Birg der vorletzten Station vor dem Schilthorn, bleibe ich im Restaurant auf der Terrasse sitzen und zwar auf der Seite, wo die Gipfel des Eiger, des Mönchs und der Jungfrau zum Greifen nahe sind. Ich schau und speichere in mein Gedächtnis und weiß mich vor Freude kaum zu fassen.

Dann bringt mich die oberste Seilbahn hinauf aufs Schilthorn. Und während der Fahrt erschließt sich mir ein unbeschreibliches Panorama. Ungefähr auf 3000 Meter Seehöhe kam rechter Hand, also im Norden, der Thunersee mit seinen grünen Ufern und  den umliegenden Städtchen in den Blick. Und einen heftigeren Kontrast kann man sich kaum vorstellen, das Grün der Tiefe und das blendende Weiß der umgebenden Berglandschaft, die nur hin und wieder durch graue Felsschroffen durchzogen ist.. Und dieser Panoramaeindruck verlor sich auch am Piz Gloria nicht, dem Gipfelrestaurant.

Ich lief auf die Terrasse, wo ich lange Zeit allein blieb und machte die Runde und schaute und schaute – ja bis hinüber zum Gipfel des Mont Blanc. Ich dachte nicht, dass ich in meinem Leben noch so einem neuen und überwältigenden Erlebnis begegnen könnte, wie diesem Panoramablick über die Berner Alpen und darüber hinaus zu den Vogesen und über den gesamten Thunersee….

 

Jungfraujoch und Wengen

 

Der nächste Tag führte mich wieder nach Lauterbrunnen, weil das Wetter wieder sehr, sehr schön war. Diesmal ging es mit der Zahnradbahn hinauf nach Wengen. Von dort nach Allmed und dann auf das Kleine Scheidegg. Und vom Kleinen Scheidegg führt eine legendäre Zahnradbahn, die 1912 ihren Betrieb aufnahm, auf das Jungfraujoch, das 3454 Meter hoch liegt. Die Zahnradbahn führt  über weite Strecken unterirdisch im Tunnel hinauf zum Joch. Nur zweimal dürfen wir aussteigen zum Fotografieren, an Eigerwand und am Eismeer. Hier hat man Galerien aus dem Felsen herausgemeißelt, die heute verglast sind, wo sich der Blick einerseits zur Eiger Nordwand öffnet und andererseits zum Eigergletscher, der sich wie alle Gletscher in der Alpenregion immer mehr zurückzieht.

 

 

Oben angekommen durchschreitet man einen Gang bis zum Lift des Sphinxobservatorium, woran sich eine große Aussichts - Terrasse anschließt. Im Untergeschoß wird zur Zeit viel gearbeitet, weil man im Jungfraubahn Jubiläumsjahr heuer viel Gäste aus dem In-und Ausland erwartet und entsprechende Bauarbeiten anstehen.

 

Oben auf der Sphinxterrasse wird mein Blick  von der Eis - und Schneelandschaft so intensiv gebannt, dass mir Wind und Kälte nichts anhaben können. Und ich verliere mich im Anblick des Gletschers, der wie ein weißes, makellos ausgebreitetes Tuch zwischen Jungfrau und Mönch ausgebreitet ist, seitlich begrenzt von den vereisten Felswänden, die dem Bild den entsprechenden Rahmen verleihen. Im Norden schimmert wieder der Thunersee herein, mit seiner grünen Umgebung. Und hinter dem Gebäude des Observatoriums ragt er hinauf – ganz nahe und scheinbar ganz leicht zu „haben“ - der Gipfel der Jungfrau.

                   

 Am Weg zurück besuche ich Wengen – der Skiort am Lauberhorn, dessen Rennen jährlich für Aufregung sorgt. Doch heute ist es sehr ruhig hier – fast könnte man sagen „verschlafen“. Doch macht der Ort insgesamt einen guten Eindruck – es wird Einiges gebaut und mit Lieferwagen  herumgeführt und es entsteht der Eindruck, dass hier nicht nur der Tourismus, sondern auch andere Berufszweige existieren. Dennoch wird der Ort von riesigen Hotelbauten dominiert, die sicher schon mehr als hundert Jahre am Rücken haben. Einer dieser Bauten wird oder besser wurde vom berühmten Club Mediterrane bewirtschaftet – wenn man aber genauer hinsieht, so scheint es eher ein Jugendgästehaus zu sein. Doch das bringt der Wandel der Zeit mit sich. Der Glorie und die Faszination des Skifahrens an sich, hat sich abgenützt. Und die Tatsache, dass Skifahren, trotz aller modernen Technik doch nur durch einige Anstrengung zu erlernen ist und das Mühe kostet, schmälert in einer Zeit wo alles auf Anstrengungsvermeidung ausgerichtet ist das Vergnügen. So nach dem Motto: Alles, sofort, und mit vollem „Geschäft“, wie ein "alter", junger Freund von mir immer zu sagen pflegte. Und diesem modernen Ansinnen widersetzt sich der schräge Hang…  

 

Ausflug nach Grindelwald

 

Grindelwald ist ein bekannter Ferienort der Schweiz, der vor allem sein historische Bedeutung hat.

 Auf dem Gebiet von Grindelwald liegen der  Untere und der Obere Grindelwaldgletscher. Die beiden Gletscher, welche gerne besucht werden, reichten etwa 1590–1880 bis vor das Dorf. Im Winter kommen vor allem alpine Wintersportler, im Sommer Wanderer und Touristen, die die Bergkulisse mit dem Fünfgespann Wetterhorn,   Schrckhorn, Eiger, Mönch und JUngfrau bewundern. Der Fremdenverkehr hat eine lange Tradition. Schon früh versuchte man die Berge den Gästen zugänglicher zu machen. Der   Wetterhorn-Aufzug gilt als eine der ältesten personentransportierenden Seilbahnen der Welt.

Berühmt-berüchtigt ist die schwierig zu durchkletternde, ungefähr 1'650 Meter hohe Nordwand des Eigers, eine der   drei grossen Nordwände der Alpen. Nachdem zwei Seilschaften beim Versuch, die Wand zu durchsteigen, tödlich verunglückten, bekam sie den Beinamen „Mordwand“. Den ersten ernsthaften Besteigungsversuch unternahmen die drei Sachsen Willy Beck, Kurt und Georg Löwinger, die 1934 in die Nordwand einstiegen und eine Höhe von 2900 Metern erreichten, bis sie wegen eines Sturzes aufgeben mussten. Ein Jahr danach starben Karl Mehringer und Max Sedelmayr in einem Schneesturm. 1936 ereignete sich das bekannt gewordene und verfilmte Drama, bei dem Eduard Rainer, Willy Angerer, Andreas Hinterstoisser und  Toni Kurz ums Leben kamen. Die vier Bergsteiger aus Deutschland und Österreich mussten – nach einem Beinbruch Angerers – den Rückzug antreten und gerieten in einen Wettersturz. Der letzte Lebende, Toni Kurz, konnte sich an einer überhängenden Stelle nicht weit genug abseilen und starb entkräftet wenige Meter über den Rettern.

Erstmals durchstiegen wurde die Eigernordwand vom 21. bis 24. Juli 1938 durch  Anderl Heckmair und Ludwig Vörg sowie Heinrich Harrer und  Fritz Kasparek 1950 wurde die Wand zum ersten Mal von den Österreichern Leo Forstlechner und  Erich Waschak an einem Tag, in 18 Stunden, durchstiegen. Dem Schweizer Michel Drabellay gelang 1963 die erste Alleinbegehung der Wand auf der Heckmair-Route. Ein Jahr danach durchstieg mit der Münchnerin  Daisy Voog die erste Frau die Nordwand. Im Februar 2008 erkletterte Uel Steck die Wand in der Rekordzeit von 2 Stunden und 47 Minuten. Den Rekord für Seilschaften halten die Schweizer Daniel Arnold und Stephan Ruoss mit 6 Stunden und 10 Minuten, ebenfalls seit Februar 2008.

Mittlerweile führen 33 Routen durch die Wand. (Stand: August 2008) Die bekannteste und klassische Route ist die Heckmair-Route, der Weg der Erstdurchsteiger. Die Gesamtschwierigkeit wird mit äusserst schwierig (angegeben und beim Klettern muss der Schwierigkeitsgrad beherrscht werden. Im Normalfall dauert die Tour zwei bis drei Tage. Durch die vielen Quergänge ergibt sich aus der Wandhöhe von 1'650 Metern eine Kletterstrecke von vier Kilometern.

Die Besteigungsversuche in den 1930er Jahren waren grosser Kritik ausgesetzt, die vor allem in der Schweiz und in England geäussert wurde. Daraufhin erliess die Regierung des Kantons Bern 1936 ein Verbot zur Besteigung der Eiger-Nordwand, das jedoch wieder aufgehoben wurde, weil es rechtlich nicht haltbar war.

Diese Geschichten im Hintergrund meines Gedächtnisses nähere ich mich Grindelwald, wieder mit einer Zahnradbahn, dem Ausgangspunkt der alpinen Skigeschichte der Schweiz. Während in Österreich am Arlberg die Skipioniere zu Hause waren, war es die Umgebung von Grindelwald und vor allem die Gletscherregionen von Eiger und Mönch, die im 19.Jh.von mutigen Skiläufern als Übungshänge benutzt wurden.

Ich wandere durch das Städtchen, das in seiner Struktur stark an Interlaken erinnert, mit seiner Einkaufsstraße, die alles das anbietet, was das Touristenherz höher schlagen lässt, von Schweizer Messer bis zur Edelweißbrosche, von der Markenuhr bis  zur Jungfrau im Schneeglas.

Schneeskulpturen in Entstehung in Grindelwald.

Alles, was schaurig schön und überflüssig ist, kann man hier finden. Doch es gibt auch Cafes und Restaurants und den COOP und unzählige Sportgeschäfte. Man kann hier auch Rodeln ausborgen und Ski und alles, was man zum freudigen Bewegung am Schnee so braucht. Doch ich habe mich entschlossen hier nur zu schauen und zu zeichnen, obwohl es mir später – oben am Firstgipfel - schon nahe geht, dass ich jetzt nicht in der Diritissima hinuntersausen kann, weil gar so schön die Sonne scheint und die Piste ordentlich hält.

Doch dann setze ich mich hin und versuche den Eiger zu zeichnen, was mehr oder minder gut gelingt, was aber nicht wichtig ist, sondern nur das genaue Schauen. Durch das Zeichen kommt der Berg oder die Landschaft anders in den Blick. Sie prägt sich dadurch besser ein und wird dadurch zum wertvollsten Souvenir meiner Reisen.

Am Rückweg nach Ringgenberg steige ich in Wildeswild aus und besuche die alte Kirche. Am Weg zur Kirche entdecke ich uralte Bauerhöfe und eine überdeckte Brücke, die über die Lütschinen führt,  ein Lieblingsmotiv von mir. Der Kirchenbau selbst stammt aus dem 15Jh. und fasziniert durch spätgotischen Freskenschmuck. Durch die calvinistische Übermalung wurden hier einige Szenen und Heiligenporträts geschützt, die im vorigen Jahrhundert wieder entdeckt wurden.

                      

Der relativ unbeschädigte Streifen an der linken Kirchenwand zeigt Szenen des Marienlebens, an der rechten Seite, schimmert noch die Passionsgeschichte durch. Alles Übrige ist kaum zu deuten.

Heimsuchung: Begegnung Maria mit Elisabeth und Geburtsszene in Bethlehem

Re: Tanz der Salome vor König Herodes und Herodias

Judaskuß und Gefangennahme von Jesus

Begräbnis von ???

Für diese wunderschönen Tage in der Schweiz möchte ich vor allem Dr. Alfred Horak danken, der mir als alter Freund seine Wohnung in Ringgenberg für Wochen überlassen hat, während er in Australien im Urlaub war. Lieben Dank auch Dir Andrea, die du mit Engelsgeduld die Straßen der Schweiz befahren und die engsten Garageneinfahrten souverän bewältigt hast.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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