Irene Kohlbergers SALVETE

Sarajewo

 
Sarajevo

 

Hier liegt sie die unbeschreiblich schöne Stadt, eingebettet zwischen Hügeln...

            Sarajevo im 19.Jh.                

                       Sarajevo im 19.Jh.

         

                      Sarajevo heute

Schräg vor uns der ausgedehnte Friedhof, wo die Stecci noch in hellem Weiß aufgerichtet sind, Zeichen dafür, dass die Toten noch nicht lange hier begraben sind. Wir sitzen am Straßenrand zwischen den Friedhöfen und schauen hinein auf die Bühne, wo das Leben der Menschen von Sarajevo spielt:

Links unter uns - im Vordergrund der Bühne - erblicken wir die Flußwindungen der Miljacka und rundherum die Altstadt. Dahinter bilden die Bauten der Geschäftswelt und darin die Doppeltürme des Parlamentes den Mittelpunkt der Szene, wo sich das meiste ereignet was für die Stadt wichtig ist. Die in Nebel gehüllten Berge des Jahorina - und Trebenic - Gebirgszuges formen den Hintergrund der Szenerie, früher als schützender Gürtel für die Stadt - doch heute "nur mehr" als wunderschöner Anblick. 

Nach einem längeren Fußmarsch durch die Altstadt, der uns vom berühmten Holyday-Inn hierher gebracht hat, sitzen wir hier am ersten Abend unseres Hierseins, betrachtend und wortlos. Wir werden jeden Tag die Stadt von oben betrachten – später von der Citatelle aus, wo sich die Jugend von Sarajewo trifft. Und diese Spaziergänge hinauf, wo sich das Panorama der Stadt immer mehr und stufenweise enthüllt, bleibt ein ganz besonderer, typischer und unvergesslicher Eindruck, verbunden mit dieser merkwürdigen Stadt.
Meine Liebe gilt schon immer den schmalern hochragenden Minaretten, die mit den breiten kuppelgekrönten Moscheen eine kontrastierende Symbiose eingehen. Und hier in Sarajevo gibt es eine Reihe von diesen beeindruckenden Bauten. Neben der Kaisermoschee, die schon im 15.Jh. errichtet wurde und der Gazi-Husrev-Beg-Moschee, erheben sich noch einige kleinere Moscheen, die im Stadtbild wichtige architektonische Akzente setzen.

    Kaisermoschee

Die Kaisermoschee (bosn.: Careva džamija) ist die wichtigste Moschee Sarajevos, erbaut zuerst 1462 unter dem Wesir Isa Beg Isaković. Nachdem der erste Bau 20 Jahre später niederbrannte, wurde das Gebäude von Sultan Süleyman I. 1566 wieder aufgebaut.

Die KAISER Moschee war Teil eines Komplexes, zu dem ein türkisches Bad (Hammam), eine Herberge (Konak) und eine Bibliothek gehörten. Zunächst als Residenz (Saraj) für den bosnischen Wesir genutzt, wurde er später er zum Sitz des ranghöchsten islamischen Geistlichen des Landes,des Reis-ul Ulema                 

               
     

                                                  

 

 

 

 

 

 Innenhof der Kaisermoschee                                                                                                     e

Die Gazi-Hus-Beg Moschee dominiert die Altstadt im positiven Sinn. In ihrem Vorhof befindet sich eine Brunnenanlage, die ihresgeleichen sucht. Sie wurde in der Zeit von  1525 bis 1531 errichtet und von dem Statthalter von Sarajevo und ihrem Namensgeber Gazi Huzref Beg in Auftrag gegeben. Adzem Esir Ali - einer der führenden Köpfe der frühen Architekurschule von Konstantinopel war der Baumeister dieser wichtigen Moschee und ein Zeitgenosse von Mimar Hajrudin, der die Brücke von Mostar baute.

                  

                                    Gazi-Husrev-Beg-Moschee

      
                                    Inneres der Gazi-Husrev-Beg-Moschee
 
Mitte des 16.Jh. beauftragte der Sultan, Ghazi Husrev Beg von Sarajevo, mit dem Bau zweier Moscheen, eine für ihn, den Sultan, und eine für den Beg selbst. Bevor sie fertig waren, vernahm der Sultan, dass seine Statthalter, vor allem je weiter sie weg von Istanbul waren, ihn immer reinzulegen versuchten. Also schickte der Sultan den nächsten Befehl nach Sarajevo, der lautete: „Die Moschee, die Du für mich bauen lässt, soll Deine sein. Und die, die Du für Dich bauen lässt, soll Meine sein.“ So kam es, dass die Begova heute größer und schöner als die Sultansmoschee (Kaisermoschee) ist…
Getröstet wurde der Sultan mit der Tatsache, dass die Sultansmoschee in einem Punkt größer ist: die Treppe zur Minarettsspitze zählt 118 und die der Begova „nur“ 115 Stufen.
Weiters wird berichtet, dass Milch statt Wasser zum Anrichten des Kalks verwendet wurde. Und dem Sand sollen Eierschalen beigemischt worden sein, um ihn härter und weißer zu machen. Der große Granitblock im Eingangsbereich soll als Ganzes aus dem Sarajevsko Polje bei Lukavica geschlagen und mit hundert Ochsen zum Bauplatz gezogen worden sein. Da der Beg für starke Ochsen gut zahlte, stritten die Bauern schon tagelang vorher, welche Ochsen zum Zug kommen sollten. Als einer der Ochsen bei einem Unfall starb, zahlte der Beg dem Bauern sofort Marijas als Ausgleich, worauf der Mann schrie: „Wären doch nur alle vier meiner Ochsen gestorben, ich wäre ein reicher Mann!“
Diese Geschichte erzählte man sich, um die Großzügigkeit von Ghazi Husrev Beg zu unterstreichen. Allerdings ließ er die ersten beiden Maurer hinrichten, da sie ihm auf die Frage: “Was muss man zuerst tun, wenn man eine Moschee bauen will?“ keine befriedigende Antwort lieferten. Der dritte Maurermeister wurde genommen, er hatte die Frage der Legende nach so beantwortet: „Zuerst müssen die Waschanlagen errichtet werden, damit die Arbeiter den Platz der zukünftigen Moschee nicht verschmutzen!“
Um die Moschee, auf ihrem Vorplatz, wo der wunderschöne reichverzierte Shadrvan, ein Springbrunnen mit Säulendach steht, herrscht reges Leben. Gläubige und Touristen stehen staunend vor diesem eindrucksvollen Bau und auch wir sind fasziniert von der Harmonie in der architektonischen Gestalt der Moschee. Auch dürfen wir in das Innere des Gebetsraumes sehen, und zwar zu einer Zeit, wo wir die Gebete der Gläubigen nicht stören. Ich freue mich zwar das Innere sehen zu dürfen, aber wie die Touristen mit den Schuhen über die mit Plastik bedeckten Teppiche latschen, diese Erfahrung hätte ich lieber nicht gemacht.
Draußen im Hof gibt es eine kleine Buchhandlung, wo mir eine blau gebundene Schrift auffällt: „Goethe und der Islam“. Das erscheint mir jetzt als wilder Gegensatz. Goethe hat die orientalische Lebensart fasziniert, die naturgemäß den Islam einschließt. Aber aus seinem Gedichtezyklus „Der west-östliche Diwan“ einen Bezug zum Islam - als Religion an sich - herauszulesen, das halte ich schlichtweg für überzogen. Aber das ist meine persönliche Überzeugung – -
 
                
                                        Brunnenanlage der Gazi-Husrev-Beg-Moschee
 
Über der Straße, die durch das ursprüngliche einheitliche Areal der Ghazi Husrev Beg Moschee hindurchführt, und wo viele Einheimische und Touristen Tag für Tag und Abend für Abend hindurchwandern, liegt die Mederesse, die Koranschule, die fast immer in der Nähe einer Moschee errichtet wurde.
Heute birgt sie einen Buchladen und vermutlich ein Veranstaltungszentrum, da sich an den Innenhof ein großer Raum anschließt, den zwei Burschen mit einem Klapptisch und Kaffeehäferln für sich beanspruchen, was ja nicht der wirkliche Nutzung dieses großen und sauberen Raumes entsprechen kann.
 
 
               
                     Gazi-Husrev-Beg-Mederesse
 
Die Ferdija Moschee liegt etwa abseits der Fußgängerzone und hat durch ihre schlichte Gestaltung keine besondere touristische Anziehungskraft.  Dennoch wirkt auch diese Moschee harmonisch und schön in ihrer architektonischen Geschlossenheit.
  
           
           Ferhadija Moschee
 
Als schönste Moschee, mit der stärksten spirituellen Austrahlung erscheint mir die Bascarsija dzamija. Sie wurde 1550 fertig gestellt und ist mit einem Minarett ausgestattet, das mit seinen Proportionen und seiner Gestaltung den Blick des Betrachters lange festhält. Dazu kommt, dass den Vorhof der Moschee alte und große Bäume beschatten, die als Überlebende der Belagerung von Sarajevo zum stimmungsvollen Charakter des Baus ganz wesentlich beitragen.(Die freistehenden Bäume wurden während der Belagerung und vor allem im Winter gefällt und als Heizmaterial verwendet.)
 
                 

                                    Bascarsija dzamija

  Im Jahre 1754 ließ der bosnische Wesir Mehmed Pasha Kukavica einen Brunnen für die Stadt bauen, der allen Menschen zugänglich war. Dieser Brunnenaufbau  brannte aber im 19.Jh. ab und wurde später im pseudomaurischen Stil wiedererrichtet.            

Im Bascarsija Viertel, dem alten Handwerkerviertel von Sarajevo steht noch die Cekrekcija Moschee, die älteste der Stadt - 1515 fertiggestellt. Sie steht direkt vor unserem Hotel, das wir nach der Bosnienrundreise, vor unserem Heimflug, beziehen. Müßig zu sagen, dass wir mitten im moslemischen Viertel untergebracht sind, wo noch ein wenig der Hauch der Vergangenheit zu spüren ist.

                                      
                             
 
                                      Cekrekcija Moschee

Unterwegs vom Holiday-Inn zur Altstadt an der Marsala Tita, liegt die kleine und verträumt wirkende Ali Pasha Moschee. Wir gehen einigemale vorbei und sitzen auch in dem kleinen Park, der das Gebäude umgibt. Doch es gelingt mir nicht, sie zu betreten. Entweder ist sie hermetisch zugeriegelt oder es vertreiben mich die Blicke der Männer, die sich hier zum Gebet oder auch nur zum Plaudern treffen. Muss ich akzeptieren und es ist auch gut so, weil ich nicht weiß, welche Erfahrungen sie schon mit Touristen gemacht haben. Diese Überlegung gilt es immer anzustellen, bevor man sich ernstlich aufregt.

               
                   Ali Pasha Moschee
 

Nun ist es aber an der Zeit den geschichtlichen Hintergrund der Stadt einzufügen…

 
Gegen Ende des 15. Jahrhunderts hatte ein türkischer Statthalter sein Domizil am Ufer der Miljacka aufgeschlagen. Nach jenem Saray  (türk. Schloss) wurde schon wenig später die rasch aufblühende Stadt Sarajevo benannt. Der Name der Stadt wurde offenbar vom türkischen sarây bzw. saray ova abgeleitet, das der heutigen deutschen Bezeichnung Serail entspricht.
Im Jahr 1238/39 wurde in einer Urkunde des ungarischen Königs Bela IV. in Zusammenhang mit dem Bau der Sankt-Peter-Kathedrale erstmals eine slawische Siedlung namens Vrhbosna erwähnt. Ab 1463 erfolgte mit dem Beginn der  osmanischen Herrschaft unter  Isa-Beg Isakovic, einem zum Islam übergetretenen Bosnier, der Ausbau der Stadt. Seit 1850 war Sarajevo Hauptstadt der Provinz Bosnien im Osmanischen Reich und ab 1878 Verwaltungszentrum des durch Österreich-Ungarn dominierten "Kondominiums".
Im Juni 1914 war die Stadt Schauplatz des tödlichen Attentates auf Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie, welches zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs beitrug. Nach 1918 kam Sarajevo mit Bosnien zum Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen.
Im Zweiten Weltkrieg zählte das Land zwischen 1941 und 1945 zum Unabhängigen Staat Kroatien, nach dessen Zusammenbruch und dem Kriegsende wurde Sarajevo 1945 Hauptstadt der Teilrepublik Bosnien und Herzegowina innerhalb Jugoslawiens.
1984 fanden die Olympischen Winterspiele in Sarajevo und den Gebirgen seiner Umgebung statt. Seit 1992 ist es die Hauptstadt des souveränen Staates Bosnien und Herzegowina. Dessen Unabhängigkeitserklärung von Jugoslawien führte zum Bosnienkrieg, in welchem Sarajevo heftig umkämpft war.
Während des Krieges war Sarajevo in einen von der Regierung Bosnien und Herzegowina kontrollierten bosniakisch-kroatischen und einen von der Republika Srpska kontrollierten serbischen Teil geteilt, die sich gegenseitig beschossen. Der von den Regierungstruppen kontrollierte Teil, zu dem unter anderem das Stadtzentrum und die Altstadt gehörten, wurde genau 1.425 Tage lang von den Truppen der damaligen bosnisch-serbischen Armee belagert.
Die Belagerung von Sarajevo begann am 5. April 1992 und ist die längste Belagerung in der Geschichte der Stadt. Der Stadtkern von Sarajevo war vollständig umzingelt.
Der Belagerung und den Kämpfen fielen nach Angaben der Regierung Bosnien-Herzegowinas 10.615 Menschen aller Volksgruppen zum Opfer, unter ihnen 1.601 Kinder. Durch Granaten, Minen oder Scharfschützen wurden rund 50.000 Menschen verletzt, teilweise schwer.
 
 
 
Doch heute, im Jahr 2010, hat sich die Situation verändert. Sarajevo ist eine sehr lebendige Stadt - wirkt sehr südländisch, obwohl die Gründerzeitbauten an Wien und Prag erinnern. Das heißt, dass schon in Sarajevo die Begegnung mit den Zeugnissen einer Vergangenheit beginnt, die durch die Ereignisse von zwei Weltkriegen für uns Österreicher tief verschüttet wurden. 
In der Fußgängerzone flanieren sie dahin, die Schönen und Jungen. Der männliche Teil von ihnen sitzt später eher in den Cafes, während die jungen Frauen die Fußgängerzone weiterhin auf und ab wandern. An allen Plätzen rund um die Ferhaija Saraci finden sich Cafes, die Eis und alle Süßigkeiten anbieten, die das Herz erfreuen. Zurzeit sind in jedem Cafe Flatscreens angebracht, die den grünen Rasen mit laufenden Männerbeinen Tag für Tag ins Bild bringen. Doch nur wenige betrachten interessiert den Verlauf der Spiele, die meisten sitzen abgewandt und plaudernd mit ihren Leuten am Cafetisch. Die Stadt pulsiert und wir wandern herum, ein wenig benommen und aufgewühlt.
 
               
                        
Ich hatte vor unserem Hiersein Sarajevo mit dem Attentat auf Franz Ferdinand und seiner Frau verbunden. Obwohl dieses Attentat nur den Anlass zum 1. Weltkrieg bildete, wie uns der Geschichtslehrer schon im Gymnasium erklärt hat, und dieser Krieg sich zweiflellos einen anderen Auslöser gesucht hätte, wenn hier in Sarajevo nicht eine extremistische Studentengruppe versucht hätte, Geschichte zu schreiben...
Aber es ist anders wenn man nur davon weiß, oder an der Stelle steht, wo die Welt von gestern gestorben ist. Sarajevo bleibt durch das Attentat für uns immer herausgehoben aus den andern Städten  - weil hier nicht ein mehr oder weniger bedeutender Habsburger ermordet wurde, sondern in der Folge eine geistige Epoche zugrundeging. Stefan Zweig beschreibt in seinem dokumentarischen Roman  "Die Welt von gestern" das Leben, Wertvorstellungen, die Liebenswürdigkeit, aber auch die Fehler und Schwächen dieser Welt, der es nicht vergönnt war sich langsam in neue Strukturen zu verwandeln, sondern in ihren Grundfesten erschüttert und zerstört wurde.
Und jetzt stehe ich das erste Mal an dieser Brücke, wo die Welt von gestern gestorben ist.
 
             
             
                                   
 
Sarajevo -  beherbergt neben den Moscheen auch Synagogen, Klöster, katholische und orthodoxe Kirchen.
Die Bauten sind ganz toll restauriert und geben Zeugnis von den Anstrengungen der einzelnen Religionsgruppen, ihre Heiligtümer zu bewahren und ihre Bedeutung zu dokumentieren.
 
Alte serbisch orthodoxe Kirche
 
Auf der Suche nach den Bauten der Vergangenheit  landen wir in der Alten orthodoxen Kirche, die aus dem 16.Jh stammt. Und hier ist gut sein. Hier stimmt alles. Sie ist klein und aus Stein erbaut. Die Bilder an der Ikonostas sind rührende Erzählungen aus dem Neuen Testament. Dass hier berühmte Ikonenmaler wirkten, erkennt man an der Feinheit der Zeichnung und der Leichtigkeit der Pinselführung, die ein großes Kunstwerk im Kleinen geschaffen haben. Zwei hohe Steinleuchter vor dem Altar und Ikonenfragmente, die auf das 12.Jh. datiert werden, erhöhen die Liebenswürdigkeit dieses kleinen Gotteshauses noch um ein Weiteres.
 
 
                        
                
                   Inneres der alten serbisch-orthodoxen Kirche
 

Die Neue Serbisch-orthodoxe Kirche

verweigert uns den Eintritt - vermutlich sind wir zu spät dran...

             
                                 

Katholische Kathedrale 

 
1881 wurde Sarjevo Bischofssitz und dementsprechend großartig wurde die katholische Kathedrale gebaut. Ich besuche einen Abendgottesdienst und erlebe einen Priester, der, obwohl ich kein Wort verstehe, mich in seine mystische Begeisterung unmittelbar hineinholt. Während der Hl.Messe denke ich viel an die furchtbaren Kämpfe um diese Stadt und erbitte von IHM eine wachsende  Einsicht der Menschen, dass zwischen den unterschiedlichen Gruppen von Bewohnern eine echte und nachhaltige Versöhnung möglich werden kann. Beim Schlusssegen dreht sich der Priester weit nach links und rechts, so als ob er mit dem Kreuzzeichen die ganze Stadt umarmen möchte. Und ich bin sicher, dass er auch an die Zukunft dieser Stadt, dieses Landes denkt, das so schwere Prüfungen erlebt hat.
 
                   
                          Katholische Kathedrale von Sarajevo

 

Jüdische Synagogen

 
Die Synagogen der sephardischen Juden stehen auf einem stimmungs - vollen Platz mitten in der Altstadt. Stari Hram, der alte Tempel, ist die erste und älteste Synagoge von BiH. Mächtige Steinmauern umschließen den ehemals sakralen Raum, der jetzt ein jüdisches Museum beherbergt.
Entstanden ist sie 1581 im Auftrag von Beg Sijavus – Pascha, und zwar sollte die Synagoge auch eine Wohnanlage für die Juden in Sarajevo werden. 1820 wurde der alte Bau grundlegend saniert und ein kleiner Tempel daneben errichtet, worin sich heute eine Galerie befindet.
(Vgl. Gschaider, Bosnien, S 109)
 
Während der Belagerung in den neunziger Jahren waren die Kunstschätze des Museums hier gelagert, weil Lage und Bauweise der alten Synagoge höchstmöglichen Schutz gewährte. Nach und nach sind die Gegenstände wieder an ihren ursprünglichen Ort zurückgebracht worden und die Sanierungsarbeiten an dem alten Bau fertig gestellt. In den neugewonnen Räumen ist man jetzt dabei, ein jüdisches Museum zu errichten.
 
Wir besuchen die Ausstellung in der Synagoge kurz bevor wir die Heimreise antreten. In den unteren Räumen sind einige historische Alltagsgegenstände und Fotos vom alten Judenviertel ausgestellt, also Dinge, die üblicherweise in einem Museum zu finden sind.
Im ersten Stock wird es allerdings sehr dicht und bedrückend. Hier hat man Einiges zusammengetragen, was wir schon anderenorts gesehen haben: z.B. Fotos und Lebensläufe angesehener Juden, die verschleppt und in den Nazi-KZs umgekommen sind. Es ist eine lange Reihe. Daneben gibt es aber auch Bilder von jüdischen Männern, die als Partisanen mit Tito gekämpft und den jugoslawischen Staat mitbegründet haben.
Kenntnisreicher aber gleichzeitig verwirrt und bedrückt verlassen wir das Museum.
Drüben vom anderen  Flussufer grüßt die Neue Synagoge herüber, die wir schon am Anfang unserer Reise besucht haben. Wir hatten Glück, weil sich der Gebäudeverwalter an diesem Vormittag offensichtlich langweilte und uns ohne langes Hin und Her in den Gebetsraum der Ashkenasi – Synagoge hinaufbegleitete, die heute das religiöse Zentrum aller Juden von Sarajewo ist. Diesem zwischen 1900 und 1902 errichteten Tempel liegt ein Entwurf von Karl Parzik zugrunde, der hier - wie beim Rathaus - seine Vorstellungen von orientalischer Architektur verwirklichte.
Der nahezu quadratische Raum schließt vor dem Thoraschrein mit einem Hufeisenbogen ab, der zudem noch mit Ziegelornamentik betont wird. Im Grunde ein seltsamer Anblick. Dahinter eröffnet sich eine Nische, an deren Rückwand ein großer Schrank zu sehen ist, wo die Thorarollen untergebracht sind.
Am Ambo (Lesepult) befinden sich kurioserweise drei Lichtquellen: zwei Kerzenhalter, zwei Petroleumlampen und zwei moderne Stablampen mit Leuchtstoffröhren. Ob das noch irgendjemand auffällt, außer mir? Aber vielleicht sind die Ereignisse der Vergangenheit noch so nahe, dass man noch immer daran denkt vorzusorgen und der Stromversorgung nicht ganz vertraut.
Während der Belagerung war die Synagoge als neutrales Refugium für die Medikamentenvergabe äußerst wichtig. (vgl .Elisabeth Gschaider , Bosnien und Herzegowina, Wien 2008, S 112)
                                          Neue Synagoge
                          
                       

 Das Alte Rathaus oder die zerstörte Nationalbibliothek.

Der pseudomaurische Stil ist eine Erfindung der Architekten, die in Bosnien gearbeitete haben. Hier konnten sie sich austoben und im Kontext mit der osmanische Vergangenheit, ihrer Sehnsucht nach einem besonderen architektonischen Stil, Ausdruck verleihen. Der Baumeister Aleksander Wittek, der für die Bauten: Altes Rathaus (Nationalbibliothek), Neue Synagoge und Scheriatsschule verantwortlich zeichnet, studierte in Nordafrika und Cordoba die Ornamentik des dortigen maurischen Stils, interpretierte sie in seiner historisierenden Weise um und schuf, seiner Auffassung nach, einen eigenständigen bosnischen Stil. Karl Partzik war der federführend Architekt, doch die Umsetzung lag in den Händen von Aleksander Wittek und Cirli Ivkovic. Innerhalb von zwei Jahren, von 1984 bis 1986, war der Bau des Alten Rathauses fertiggestellt. Unübersehbar, am rechten Ufer der Milacka, dort wo die Trams ihre Schleife zurück in die Stadt ziehen, steht das Alte Rathaus und jetzt Nationalbibliothek, errichtet über einem gleichseitigen Dreiecksgrundriss. Über dem dreieckigen Innenhof wölbt sich eine Stahlkonstruktion, die eine Glaskuppel trägt. Alles in allem ein interessanter Bau – aber damit hat es sich. Dennoch ist es gut, dass man sich um die Rekonstruktion des Baus bemüht.

  

Für mich bleibt aber der Verlust der Bücher der tiefere Schmerz. Darüberhinaus begreife ich nicht, dass Bücher und Bauten, die zum Weltkulturerbe gehören und längst ein metaphysisches Eigenleben führen, dem Untergang geweiht wurden. So zum Beispiel auch die Ferhadija Moschee von Banja Luka, der man eine geistige und innere Beziehung zu allen Bewohnen der Stadt nachsagen konnte - einfach im Wahn der Nationalitätenkrieges vernichtet wurde. Das verstehe wer will. Für mich bleibt eingegraben in mein Denken das Bild des Cellisten auf den Trümmern der Nationalbibliothek, der die einzige Form des Protestes gewählt hat, die ihre Wirkung auch nach Jahrzehnten nicht verlieren wird.

Dazu gibt es das Buch von Steven Galloway (Autor), Georg Schmidt "Der Cellist aus Sarajevo"
 

Einkaufen in Sarajevo:
 
Die großen Straßen bieten das Übliche, wie bei uns, Kleider bis Bootszubehör ….
Aber es gibt mitten in der Stadt ein sechsstöckiges Einkaufszentrum mit einem großen Lebensmittelmarkt. Alles übrige sind Kleiderläden. Es fehlen jede Art von Elektronikgeschäfte und ich frage mich, wo sie die Unzahl von Flatscreens einkaufen, vielleicht bei den Slowenen oder in Kroatien.
Nur unten im Keller gibt es ein winziges Fotogeschäft, wo ich eine Pansonic - Digitalkamera erstand, um ein Drittel teurer als bei uns, die sie mir am vorletzten Tag unserer Reise gestohlen haben. Draußen, vor dem Komplex gibt es einige Cafes, wo Eis und Süßigkeiten angeboten werden, und wo sich jung und alt drängt und das Leben genießt.

Der von Gazi Husrev Beg errichtete Basar ist 109 Meter lang und besticht im Inneren durch Geschäftspassagen, die durch steinerne Bögen Nischen bilden, worin insgesamt 45 Geschäfte untergebracht sind. Der Raum wirkt stärker auf den Besucher, als die Dinge, die hier angeboten werden: Souvenirs verschiedener Geschmacksstufen, von reinstem Kitsch bis zu brauchbaren Schals und Lederwaren. Die Auswahl ist nicht besonders groß, weil alle Geschäfte Ähnliches anbieten.  

     

 

 

 

 

 

Ad Bücher

Unser Bemühen Landesliteratur in Deutsch oder Englisch zu bekommen wird belohnt. Es gibt einige gute Buchläden, was nicht zu verwundern ist, weil Sarajevo Universitätsstadt ist. Schön ist es in diesen Buchhandlungen einfach zu stöbern und zu schauen, welche Geistesrichtung die Angebote abdecken. Und vielfach ist es wie überall, wo Äskulap und Hygeia als Götter des Alltags fungieren und alle Arten von Lebenshilfebücher als „Opfergaben“ erhalten. Für uns von besonderem Interesse, das große Angebot an fremdsprachiger Literatur, das ja hier offenbar gelesen werden muss. In einem der Buchantiquariate gab es eine Gesamtausgabe von Heinrich Heine, wunderbar erhalten um 50 Euro. Trotz diesem verlockendem Angebot  lassen wir den Heine hier, wiel wir seine wichtigsten Werke von ihm schon zu Hause haben - vielleicht fürs das nächste Mal, wenn ich weiß, wem ich diese Ausgabe schenken kann.
In einer großen Buchhandlung erstehe ich von Mesa Selimovic „Der Derwisch und der Tod “ und zwei Titel von Ivo Andric, die berühmte „Brücke über die Drina“ und „Das Fräulein“. Alle drei Bücher beschäftigen sich mit historischen Themen, wobei die Erzählkraft des Mesa Selimovic eine besondere Dynamik und Tiefe auszeichnet. Gedruckt wurde das Buch 1987 in Leibach, damals noch im jugoslawischen Staatsverband.
Selimovic erzählt die Geschichte eines Mannes, der in einem von totaler und willkürlicher Macht geprägten System nach seinen Regeln des Gewissens leben will und dazu Schutz hinter den Mauern eines Derwischklosters sucht. Durch seine natürliche Verantwortlichkeit gegenüber seinem Bruder, der durch regimekritische Äußerungen in Ungnade gefallen ist und bereits tot ist, als der Derwisch versucht dessen Leben zu retten, wird ihm immer deutlicher bewusst, dass er in dem Räderwerk der totalen Macht eingeschlossen ist und sich weder nach unten (erst spät wird ihm klar, dass er innerhalb der Klostermauern den Spitzel in nächster Nähe hat und sich nicht von ihm trennen kann) noch nach oben wehren kann. Als er am Ende seines Lebens selbst zu intrigieren versucht und dadurch zu der angesehenen Stelle des Kadis gelangt, genügt die Denunziation von einer reichen Witwe, um ihn zu Fall zu bringen.
Resigniert schreibt er vor seiner Verurteilung zum Tod:
Ich rufe zum Zeugen der Zeit, Anfang und Ende aller Dinge – dafür, dass jeder Mensch immer Verlust erleidet.
 
Allerdings gelingt dem Dichter in der Figur des Hassan, eines geistigen und gebildeten Mannes, ein Gegenentwurf, der darin besteht, sich dem Zugriff des staatlichen Apparates zu entziehen und sich von Macht und Geld nicht korrumpieren zu lassen. Hassan schützt sich dadurch, dass er den untergeordneten Job eines Viehtreibers annimmt und aus dieser Perspektive ein lebendiger und freier Mensch bleibt. Allerdings ist das nicht so einfach, weil er erst langsam die Widerstände seiner Familie überwinden kann, die ihn schon als Wesir in einer der osmanischen Provinzen gesehen hatten. Letztendlich siegt die Verweigerung in dem Roman von Mesa Selimovic, aber eine konstruktive Verweigerung, die bewusst gesetzt wird und den Menschen in seine wirkliche Freiheit entlässt.
Die absolute Ausgeliefertheit an ein System der Unterdrückung, wo keine allgemeinen Gesetze gelten, sondern nur der Wille des/der Höheren wird in diesem Buch unglaublich spannend aufgefaltet. Es gelingt ihm in poetischen Bildern auch die „Grauslichkeiten“ in den Gesichtern und Handlungen der Mächtigen mit raffinierter Einfühlung zu beschreiben und so den Leser zu packen und mitzureißen, dass man gebannt ist.
 
Herbert bringt Gedichte von Stevan Tontic und einen Bildband nach Hause, der seinesgleichen sucht. Der Bildband ist von Gilles Peress mit dem Titel …farewell to bosnia. In unglaublich direkten Bildern hat hier ein Kriegsberichterstatter das Leid und den Tod während des Bosnischen Bürgerkrieges abgebildet: großartig und herz zerreißend.
 
         DIE KRAFT DES GLAUBENS
 
         Selbst im geringsten Glassplitter
         der zusammengekehrten Haufen zerschlagener Fenster
         spiegelt sich Gottes Angesicht.
 
         Auch das geringste Aufblitzen
         auf dem Müllplatz in der Sonne
         ist ein Zeichen für die Anwesenheit des Höchsten.
 
         Ich beuge mich über das Glaskörnchen,
         ist ihm mein Heil anvertraut?
 
         Von keiner Seite ein Laut.
 
aus: Stevan Tontic: Handschrift aus Sarajevo
 
 
Die eingefügte Internetadresse führt zu einem Ausschnitt des Buches " Sarajevo..." der mir sehr lesenswert erscheint.
 
 
 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

                   

 

 

 

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